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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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beiseitezulegen.
    »Dieses Buch ist voller Lügen«, hob sie an und hielt die aquatische Bibel in die Höhe. Das war, um es vorsichtig auszudrücken, kein vielversprechender Anfang. Die versammelte Gemeinde schnappte nach Wasser. »Wunderschön, wahr, inspirierend«, fuhr Margaret fort, »aber dennoch ein Stück Fiktion. Dieses Buch ist voller Geschichten, die unser Leben verändern. Die uns helfen zu leben. Zu lieben. Und geliebt zu werden.
    Aber keinesfalls sollten sie uns bedrängen. Sie wurden nicht geschrieben, damit wir Teile unseres Wesens verleugnen. Die Bibel lehrt uns, dass der entwässerte Tod einen Fluch über unsere Seele bringt. Hilft uns das, Gott zu verstehen? Oder seine Liebe zu erkennen? Nein. Es hält uns in der Angst gefangen und lässt eine Hälfte der großen Gnade, die Gott uns geschenkt hat, verkümmern. Ich glaube, Gott betrachtet das als Beleidigung, nicht als Verehrung.
    Vergesst nicht, die Wahrheit in eurem Herzen wird immer stärker sein als jene, die ihr in den Seiten dieses Buches findet. Diese Geschichten sollten uns leiten. Sie sollten uns helfen, die Wahrheit zu finden.«
    Als Margaret ihre Predigt schloss, war der Augasteinn bereits an der Tür. Sein Gefolge schwamm hinterher, ebenso der Rest der Gemeinde. Margaret stand vor leeren Bänken. Am nächsten Tag wurde sie durch ein persönliches Dekret des Augasteinn offiziell exkommuniziert.
    Gerüchten zufolge verließ Margaret das Wasser drei Tage später, aber das entspricht nicht der Wahrheit. Es war nicht einfach für Margaret, ihren geliebten Angehörigen und besonders ihrer Tochter Aby zu erklären, dass die Exkommunikation ihre Liebe zum Aquatismus nicht minderte. Ganz im Gegenteil, Margaret fühlte sich in ihren Überzeugungen bestärkt. Als sie
etwa achtzehn Monate später beschloss, entwässert zu leben, hegte sie keine Zweifel mehr.
    Ihre kleine Tochter zurückzulassen brach ihr das Herz. Margaret hatte es anders geplant. Sie hatte versucht, Aby mitzunehmen, aber ihre Tochter hatte sich geweigert. Margaret glaubte jedoch fest daran, dass es ihr Trú sei, entwässert zu leben. Sie wusste, dass sie unnötig leiden würde, stellte sie sich dagegen. Margaret hatte nie gedacht, dass sie ihre religöse Überzeugung jemals über die Liebe zu ihrer Tochter stellen könne. Aber sie hielt es für Gottes Wille. Sie glaubte fest daran, dass Gott Aby eines Tages überzeugen würde, ihrer Mutter zu folgen. Sie rechnete damit, dass es höchstens zwei oder drei Jahre dauern würde.

    Während sie vor dem Ganzkörperspiegel stand und der Rost in orangefarbigen Linien über ihre grüne Haut lief, entschied Margaret, das Thema endlich abzuschließen. Ihr Bjarturvatn würde ohne die Versöhnung mit ihrer Tochter vonstatten gehen. Sie würde ihre beschränkte Zeit und Energie nicht mit dieser Angelegenheit vergeuden. Margaret stand noch minutenlang vor dem Spiegel und beobachtete, wie immer mehr Rost aus ihren Kiemen quoll. Sie versuchte sich einzureden, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie scheiterte kläglich.

Achtzehn
    One Great City!
    Aby war müde, sie hatte noch drei Stunden bis Winnipeg vor sich und keine Worte für das entsetzliche Gefühl in ihren Beinen. Es war, als trieben tausend winzige Muschelsplitter durch ihre Adern, die von innen gegen ihre Haut schnitten. Aby hatte sich geschworen, erst hinter Winnipeg anzuhalten, aber als das Gefühl immer schlimmer wurde, musste sie ihren Plan ändern. Aby bremste und lenkte das Auto auf den Seitenstreifen. Sie kletterte aus dem weißen Honda Civic, versuchte einen Schritt zu gehen und brach zusammen. Sie hing über der Motorhaube und starrte auf den langen Riss in der Windschutzscheibe.
    Obwohl Ást ihr versichert hatte, sie müsse sich um die Windschutzscheibe keine Sorgen machen, konnte Aby die Angst nicht abstellen. Während die Kilometer vorbeiflogen, machte Aby daraus ein Spiel: Falls sie das Prairie Embassy Hotel fand, bevor der Riss den linken Rand der Windschutzscheibe erreichte, würde ihre Mutter noch am Leben sein. Der Rost hätte noch nicht eingesetzt. Außerdem - und das war ebenso wichtig wie unwahrscheinlich - würde Margaret den unangekündigten Besuch ihrer Tochter vorausahnen. Als Aby Manitoba durchquerte, war ihr klar, dass es sich um reines Wunschdenken handelte, um ein Spiel, das ihr die Zeit vertreiben sollte; dennoch fing ein kleiner Teil ihres Verstandes an, wirklich daran zu glauben. Nur noch sechs Zentimeter trennten den Riss vom Rand der

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