Nach dir die Sintflut
sagte er. »Damit solltest du problemlos bis … wohin wolltest du gleich?«
»Morris. In Manitoba.«
»Du wirst es schaffen. Der Riss in der Windschutzscheibe wird sich ausdehnen, aber du wirst es schaffen.«
»Ich möchte mich wirklich bei dir bedanken. Für das Wasser. Für alles.«
»Weißt du, Aby, eigentlich bin ich selbst ein bisschen aquatisch.«
»Man kann nicht ein bisschen aquatisch sein.«
»Trotzdem halte ich mich dran, ans Trú , an mein Trú «, sagte Ást. Er sah Aberystwyth direkt in die Augen, konnte aber nichts erkennen als Zweifel.
Die aquatische Bibel beinhaltet viele Gottesbeschreibungen, die sich ausnahmslos widersprechen. Im Buch der Verirrten erscheint Gott als schlichter, machtloser und ungehobelter Si∂ri. Im Buch der Zweifel nimmt er die Gestalt einer Schildkröte mit zwei Köpfen an, die einander ausschließende Ratschläge geben. Das Buch vom Ende verzichtet gänzlich darauf, Gott zu personifizieren; stattdessen erkennt es das Göttliche in allen Dingen.
Insgesamt kennt die aquatische Bibel vierzehn Gottesgestalten, die sich grundlegend voneinander unterscheiden. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - folgt die Mehrzahl der gläubigen Aquatiker dem Trú , was wörtlich so viel wie »Strömung« bedeutet.
Wir sprechen in diesem Fall von Vorsehung oder Schicksal, auch wenn es einen entscheidenden Unterschied gibt: Im Trú ist nichts festgelegt. Die Aquatiker glauben, es sei möglich, wenn nicht sogar leicht, sein Schicksal zu verfehlen. Das Trú verliert man genauso schnell wie seine Autoschlüssel oder wie die Orientierung in einer fremden Stadt. Ihm zu folgen ist einfach, vorausgesetzt, man vertraut sich der Strömung an und lässt sich unabhängig von den eigenen Wünschen, Zielen und Bedürfnissen forttragen.
»Du meinst das hier?«, fragte Aby, die ihren Zweifel nicht verhehlen konnte. »An diesen Ort hat dein Trú dich gebracht?«
»Ja.«
»Entwässert?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Das ist, na ja. Also.«
»Deiner Mutter geht es vermutlich genauso«, sagte Ást, und zum ersten Mal musste er die Augen niederschlagen. »Denk mal drüber nach.«
Ohne ihr die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben und ohne sich die Hände zu waschen, öffnete Ást die Fahrertür des gestohlenen Honda Civic. Zögerlich stieg Aby ein. Als sie dabei war, ihre Beine um die Lenksäule herum anzuordnen, griff Ást ihr dazwischen.
»Was tust du da?«
»Ich schiebe den Sitz zurück.«
»Der Sitz lässt sich zurückschieben?«, fragte Aby. Es war ganz offensichtlich so, aber allein die Möglichkeit ließ Aby die Tränen in die Augen steigen.
»Komm, steig aus«, sagte Ást.
Als der Fahrersitz frei war, griff Ást darunter und fand den Hebel. Er zog, und der Sitz rutschte zurück. Ást zeigte Aby, wie es funktionierte. Sie stieg wieder ein. Mit angezogenem Hebel rutschte sie mehrfach vor und zurück und lachte dabei.
Nachdem sie die ideale Position gefunden hatte, schaute sie zu Ást hinauf und zog langsam die Fahrertür zu. Sie wollte sich bei ihm bedanken, fürchtete jedoch, missverstanden zu werden. Sie sagte nichts. Anstatt das Fenster herunterzukurbeln, legte sie die flache Hand an die Scheibe. Sie spreizte die Finger, bis ihre Schwimmhäute sichtbar wurden. Ást tat dasselbe. So gaben sie einander lange die Hand. Dann trat Ást einen Schritt zurück. Seine Hand hinterließ einen schmierigen Abdruck auf dem Glas.
Siebzehn
Margarets Gründe
Kurz nach Mitternacht kletterte Margaret vom Segelboot und entdeckte zwei Scheinwerferpaare auf der Zufahrtsstraße. Sie stieg die Leiter hinunter und beobachtete, wie zwei Autos vor dem Hotel hielten. Stewart hatte Rebecca anrufen wollen, aber nun klappte er sein Handy zu. In den Autos saß jeweils nur der Fahrer. Die beiden Männer stiegen aus und gingen direkt zum Hoteleingang.
»Wer könnte das sein?«
»Die Regenmacher«, sagte Margaret. »Die hatte ich ganz vergessen.«
Stewart steckte sein Handy ein und stieg auf die Leiter, aber Margaret winkte ab. »Nein, nein«, sagte sie. »Ruf sie an. Anscheinend braucht sie dich wirklich.«
»Sicher?«
»Ja.«
»Nein, ich meine, schaffst du das? Weißt du noch, wie man einen Gast eincheckt?«
»Das Hotel gehört immer noch mir.«
»Ist ja schon gut«, sagte Stewart. Margaret schaute ihm beim Wählen zu, dann drehte sie sich um und ging zum Hotel zurück.
Sie war müde, denn Stewarts Handy hatte die ganze Nacht geklingelt und sie wachgehalten. Aber auch eine ausgeschlafene Margaret
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