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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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Windschutzscheibe.

    Mit solchen Gedanken war Aby beschäftigt, als sie neben dem Trans-Canada-Highway am Auto lehnte und sich wegen des beständigen, namenlosen Gefühls in ihren Beinen ängstigte. Sie fürchtete, es könnte chronisch werden, aber nachdem sie sich fünf Minuten auf den gestohlenen Honda Civic gelehnt hatte, ließ das Kribbeln plötzlich nach. Nach fünfzehn Minuten war es verschwunden. Fest entschlossen, erst hinter Winnipeg und vielleicht sogar erst in Morris zu schlafen, kletterte Aby wieder auf den Fahrersitz.
    Dreieinhalb Stunden später fand Aby sich in einem Vorort von Winnipeg wieder. Am Himmel war kein Mond zu sehen, die Fahrbahnmarkierung war schlecht, und Aby war müde. All das verwirrte sie, und anstatt die Stadt zu umfahren, fand Aby sich im Zentrum wieder. Ihre Versuche, zum Highway zurückzufinden, führten sie nur noch tiefer in die Wohngebiete hinein. Kurz nach zweiundzwanzig Uhr fielen ihr wiederholt die Augen zu. Aby sah ein, dass es an der Zeit für eine Pause war.
    Sie wählte eine ruhige, von Bäumen gesäumte Seitenstraße und schaffte es nach mehreren Anläufen, den weißen Honda Civic einzuparken. Sie ließ den Fahrersitz zurücksinken und schlief sofort ein. Kurze Zeit später fuhr sie erschreckt aus dem Schlaf. Jemand machte sich am linken Hinterrad zu schaffen. Der Wunsch, Winnipeg zu verlassen, war stärker als Abys Absicht, so wenig Kontakt wie möglich zu den Si∂ri aufzunehmen. Sie öffnete die Fahrertür und stellte erst den rechten, dann den linken Fuß auf den Asphalt. Sie ging zum Kofferraum. Weil der junge Mann so dicht an der Stoßstange hing, fürchtete sie zunächst, ihn angefahren zu haben. Da er aber unverletzt schien, entspannte Aby sich ein wenig.
    »Wielleicht kwönnen Sie mir welfen?«, fragte sie.
    Der Mann reagierte nicht sofort, was Aby sehr nervös machte.
Ihre Kiemen flatterten unmerklich, und sie wackelte mit den Fingern, so dass die Schwimmhäute sich spannten. Aby bemerkte nicht, was sie da tat, bis der Si∂ri auf seine Hände starrte. Peinlich berührt hielt Aby die Arme hinter den Rücken. Endlich, nach einer langen Pause, sagte der Mann:
    »Ich glaube, ich kenne dich.«
    »Ich gwaube nicht.«
    »Doch, doch. Du hast beinahe eine Limousine gerammt, in der ich saß.«
    »Dwas wawst du?« Der Mann sah ganz anders aus.
    »Ich saß auf der Rückbank.«
    »Dwas tuwt mir sehwr leid!«, sagte Aby. »Bwitte warte hier?«
    Der Mann blieb auf dem Asphalt hocken, was Aby als Geste der Zustimmung deutete. Immer noch beeindruckt von ihren eigenen Laufkünsten ging Aby um das Auto herum und steckte den Kopf hinter den Fahrersitz. Sie wusste, sie hatte die Schlüssel sicher versteckt, konnte sich aber nicht mehr genau erinnern, wo. Nachdem sie ihre Hand in alle Ritzen der Rückbank gesteckt und die Ablage in der Fahrertür durchsucht hatte, fand sie die Schlüssel unter einer Fußmatte. Aby nahm sie fest in die Hand und ging zu dem Mann zurück, der immer noch hinter dem Auto saß.
    »Kwannst du ihr dwiese bwitte zuwückgewen?«, fragte sie. Dann streckte sie ihm die Schlüssel entgegen. Zuerst wirkte der Mann, als wolle er ablehnen, aber dann streckte er langsam die Hand aus. Sie reichte ihm die Schlüssel besonders vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken.
    »Das mache ich«, sagte er und starrte auf die Schlüssel.
    »Sehwr wichtig.«
    »Das ist ja unglaublich«, sagte der Mann.
    Diese Antwort stellte Aby zufrieden, nahm sie doch an, sie sei im aquatischen Wortsinn gemeint. Sie ging zur Fahrertür
zurück. Die Schlüssel endlich loszuwerden nahm ihr ein schweres Gewicht von den Schultern und erfüllte sie mit Zufriedenheit und neuer Energie. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie immer noch nicht wusste, wie sie aus Winnipeg herausfinden sollte.
    »Weißt dwu dwen Weg nach Mworris?«, fragte sie.
    »Wohin?«
    »Es iwt niwt weit. Mworris.«
    »Tut mir leid, ich bin nicht von hier.«
    »Twa. Twa dann. Wanke.«
    »Kein Problem.«
    »Ew iwt so twocken hier.«
    »Ja, das finde ich auch«, sagte Lewis.
    Aby nickte, und der Mann erwiderte die Geste. Sie hatte das Gefühl, der kurze Austausch sei sehr wichtig gewesen, wichtiger noch als die Schlüsselübergabe. Vielleicht handelte es sich bei dem Mann um ein Almennt . Der Begriff lässt sich nicht übersetzen; er bezeichnet den Moment, in dem Gott sich in der Welt offenbart, und zwar in einer Gestalt, mit der der Gläubige etwas anfangen kann.
    Aby drehte sich noch einmal um, um zu sehen, ob es so sein könnte.

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