Nach dir die Sintflut
nach dem Auftreten der Symptome noch jahrelang weiter, andere nur Stunden. Bei den meisten handelt es sich um eine Angelegenheit von wenigen Wochen. Bis jetzt hat man kein Gegenmittel gefunden. Und sobald der erste Rost sich zeigt, beginnt ausnahmslos jeder Hli∂afgo∂ mit dem Bjarturvatn .
Bjarturvatn , oder »klares Wasser«, steht dafür, seine finanziellen, häuslichen und emotionalen Angelegenheiten zu ordnen. Da alle Hli∂afgo∂ mit dem Rost ein unmissverständliches Signal erhalten, gilt es als unschicklich, ungeregelte Geschäfte zu hinterlassen.
Was die Finanzen betraf, gab es für Margaret nicht viel zu regeln. Sie musste davon ausgehen, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse im Prairie Embassy Hotel ans Licht kommen würden. Der frühere Betreiber hatte das Gebäude aufgegeben,
nachdem er zwei Jahre lang vergeblich versucht hatte, einen Käufer zu finden. Drei Jahre später war Margaret durch ein Fenster im zweiten Stock eingestiegen. Sie hatte die Lobby und sechs der achtunddreißg Zimmer renoviert und das Prairie Embassy Hotel für eröffnet erklärt.
Während der darauffolgenden siebzehn Jahre schien niemand je bemerkt zu haben, dass Margaret das Gebäude im juristischen Sinne nicht gehörte, außerdem war sie zu einem geachteten Gemeindemitglied aufgestiegen. Falls die Wahrheit herauskäme, hätte das für niemanden außer Stewart Konsequenzen. Dann würde er sich einen neuen Job suchen müssen, was ihm, davon war Margaret überzeugt, guttun würde. Wenn irgendjemand einen Neuanfang gebrauchen konnte, dann Stewart.
Auch in emotionaler Hinsicht fühlte Margaret sich angekommen. Sie hatte in der Stadt nur wenige Freunde. Sie würde sich von ein paar Leuten verabschieden müssen, aber das Ganze würde ohne Tränen über die Bühne gehen. Die einzige Angelegenheit, die sich möglicherweise als schwierig erweisen würde, betraf Aberystwyth, ihre einzige Tochter, die sie nicht mehr gesehen hatte, seit sie aus dem Wasser gestiegen war.
Nachdem sie damals das aquatische Priesterinnenseminar abgeschlossen hatte, hatte Margaret ihre erste Gemeinde übernommen, ein Landwirtschaftskollektiv in Nowwlk. Die Gemeinde war klein, die Besucherzahlen seit Jahren fallend. Das traf damals auf alle aquatischen Gemeinden zu, auf die ländlichen wie auf die städtischen. Margaret machte schnell auf sich aufmerksam, weil ihre Leidenschaft, ihre direkte Art und ihre Wortgewandtheit immer mehr gläubige Hli∂afgo∂ nach Nowwlk lockten.
Aber mit der Gemeinde wuchsen auch Margarets Zweifel. Obwohl sie vom Aquatismus überzeugt war, beschäftigten sie
zwei Fragen. Die erste betraf ihr amphibisches Wesen. Margaret konnte einfach nicht glauben, dass Gott ihr die Fähigkeit, Luft zu atmen, geschenkt und ihren Körper mit diesem eleganten Biomechanismus ausgestattet hatte, nur um ihr anschließend den Gebrauch zu verbieten. Zweitens glaubte sie zwar, dass die aquatische Bibel das Wesen der Hli∂afgo∂ ganz zutreffend beschrieb, konnte sich aber unmöglich vorstellen, dass die überlieferten Geschichten sich tatsächlich ereignet hatten. Es fiel ihr zunehmend schwer, die Schrift als Geschichtsschreibung zu akzeptieren.
Gleichzeitig verbreitete sich ihr Ruf als Predigerin wie ein Lauffeuer. Manche Hli∂afgo∂ schwammen stundenlang, um sie predigen zu hören. Das einzige Hotel von Nowwlk war Monate im Voraus ausgebucht. Ihr Ansehen wuchs so sehr, dass der Aquatische Religionsrat auf sie aufmerksam wurde. Mit großem Brimborium wurde verkündet, der Augasteinn werde Nowwlk besuchen, um an Margarets Gottesdienst teilzunehmen.
Auch wenn die zynischeren Gemeindemitglieder den Besuch als Werbetrick abtaten, der auf die einzige Kirchengemeinde im Land aufmerksam machen sollte, die nicht schrumpfte, sondern wuchs, konnte niemand bestreiten, dass es sich um eine große Ehre handelte.
Am Morgen des Besuches des Augasteinn hatte die Strömung das Wasser heiß und trüb werden lassen. Margaret war nervös. Sie hatte sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um ihre Predigt, die der Rat bereits abgesegnet hatte, zu überarbeiten. Mitarbeiter des Rates begleiteten sie zur Kirche und scheuchten sie hinein, Kameras wurden ihr ins Gesicht gehalten. Vor der Kanzel zählte sie sechzehn Mikrofone, alle großen Sender waren vertreten. Der Augasteinn und seine Begleiter besetzten die ersten drei Reihen, so dass die üblichen Kirchgänger
zurückgedrängt wurden. Margaret hielt kurz inne und beschloss, das Manuskript
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