Nach Hause schwimmen
hatte als mit der Verletzung von Urheberrechten, waren im Buch keine Fotos abgedruckt, sondern Gemälde einer Künstlerin namens Tracy Sorrentino, die Filmszenen in Öl festhielten und stilistisch an schlechte Kopien von Werken Francis Bacons erinnerten.
Wilbur liebte das Buch. In den wildesten Passagen las es sich wie ein absurder Roman, und wo Ormond seinen heftigen und zwiespältigen Gefühlen gegenüber Willis freien Lauf ließ, wie ein fiebriger, irrer und von Beleidigungen durchsetzter Liebesbrief. Als wahres Kunstwerk betrachtete Wilbur den Teil über die Filme, in dem der Verfasser ein stilistisches Chaos aus sachlicher Betrachtung, poetischer Überhöhung und unflätiger Kritik anrichtete, durch das immer wieder, gebadet in Pathos und Kitsch, verschlüsselte Sätze der Verehrung leuchteten. Zu Die Hard schrieb er: »In Bruce Willis’ Gesicht liegt, verborgen unter Härte und Desillusioniertheit, die Andeutung eines Lächelns, das selbst in der Gegenwart des Todes Liebe und Hoffnung ausstrahlt. Liebe gegenüber seiner Familie, für die zu sterben er bereit ist, das Herz vielleicht schwer vor Wehmut, aber frei von jeder Furcht. Hoffnung hegend für die Zeit nach dem Töten, die in seinem abgeklärten Traum keine bessere sein wird, sondern eine von ängstlichem Singen durchwirkte Stille, in der das Glück eine Flamme im Wind ist. Dieses Lächeln, tausendfach gespiegelt im Regen glühender Trümmer, ist das eines von der perversen Phantasie Hollywoods zur Unsterblichkeit verdammten Mannes, der weiß, dass jedes Haus der Geborgenheit nur ein fragiles Gebilde und dazu bestimmt ist, im Feuersturm zu vergehen, dass das Böse nie ruht und er immer wieder wird töten müssen, ein Verfechter des Guten und Edlen auf einer von blutigen Ozeanen umspülten Insel namens Amerika.«
Als die Wiesen und Bänke sich zur Mittagszeit füllten und Wilbur einen uniformierten Museumswächter für einen Polizisten auf der Suche nachihm hielt, stand er auf und verließ den Park. Die Lektüre des Buches hatte ihn ruhiger gemacht, und während des Gehens erinnerte er sich an seinen Plan. Schlaflos im Hotelbett liegend und mit dem Ballast zu vieler Filme im Kopf, hatte er die fixe Idee entwickelt, seine Spuren verwischen zu müssen. Er hoffte, es würde seiner Reise etwas von ihrem Schrecken nehmen, wenn ihr eine Art Drehbuch zugrunde läge mit einer Handlung, die ihn zur Figur machte. Ginge er als John McClane durch die fremde Stadt, vermochten ihn die Gefühle von Angst, Reue und Unentschlossenheit vielleicht nicht mehr zu lähmen, denn in seinem Kopf schriebe er fortlaufend eine Geschichte, in der ihm außer Kratzern und gelegentlichen Streifschüssen nichts passierte, eine Geschichte, die er beenden könnte, wenn sie aus dem Ruder liefe. Er hatte Matthews Telefonnummer und die der Conways auf drei Zettel geschrieben, von denen einer in seiner Hosentasche steckte, einer im Innenfach der Reisetasche lag und einer, zusammen mit den Geldscheinen in Haushaltsfolie gewickelt, in seinem rechten Schuh, und beide Nummern hatte er auswendig gelernt. Zwischen seiner Wäsche befanden sich zwei Briefe, in denen er Matthew und Pauline und Henry die Beweggründe für seine Reise nach Nora darlegte und die er abschicken wollte, sobald er Lennard Sandberg gefunden hatte.
Dass Bruce Willis keine Telefonnummern für Notfälle bei sich trug und John McClane keinen Plan B hatte, der eine reumütige Rückkehr nach Hause vorsah, war Wilbur klar. Aber bestimmt war weder der eine noch der andere mit fünfzehn auf der Suche nach dem Vater alleine durch Schweden gereist. Und keiner der beiden hatte eine Karriere als Cellist aufs Spiel gesetzt, um seine Mission durchzuführen. Bruce Willis hatte als Kind gestottert, das wusste Wilbur aus verlässlicheren Quellen als denen Lester J. Ormonds. Willis war einmal fast ertrunken, Wilbur genauso. Wenn Wilbur darüber nachdachte, war er vielleicht nicht mutiger als John McClane, aber er besaß mit Sicherheit mehr Mumm als Bruce Willis. Auf jeden Fall hatte er mehr durchgemacht als dieser behütete Junge, der eine Mutter hatte und einen Vater und zwei Brüder und eine Schwester. Wilbur war alleine, und es erschien ihm mehr als gerechtfertigt, dass er in seinem eigenen Film die Rolle des Helden beanspruchte.
In Wilburs Plot war dieser Held auf der Suche nach einem Verräter und dabei nicht nur Jäger, sondern auch Gejagter. Es galt, Verfolger zu verwirren, indem er Haken schlug und falsche Fährten legte. Er ging
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