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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Küche tragen, als Deborah einen Fleck auf ihrer Handtasche entdeckte. Der Soßenspritzer wurde von allen am Tisch begutachtet und dann der Kellnerin unter die Nase gehalten. Maureen entschuldigte sich und streckte die Hand mit der Serviette aus, aber Deborah zog die Tasche entsetzt zurück und presste sie an die Brust. Der Geschäftsführer, dem die Aufregung im Speisesaal nicht entgangen war, kam herbei und wurde von Audrey Shuler über den Fall ins Bild gesetzt. Nachdem er den Fleck auf der Handtasche inspiziert hatte, als handle es sich um ein Einschussloch, versicherte er Deborah, das Restaurant werde für den Schaden aufkommen. Zudem bot er an, Nachtisch und Kaffee auf Kosten des Hauses servieren zu lassen.
    Damit wäre die Sache erledigt gewesen, hätte Maureen nicht mit der trotzigen Stimme eines zu Unrecht getadelten Mädchens gemurmelt, die verfluchte Tasche habe im Weg gestanden, weshalb die verdammte Schuld nicht bei ihr, sondern bei der eingebildeten Zicke liege. Deborah und ihre Eltern waren über diese unflätige Bemerkung fassungslos, und der Geschäftsführer verlangte von Maureen eine Entschuldigung. Aber die Frau, die mittlerweile zum Zentrum des allgemeinen Interesses geworden war, dachte nicht im Traum daran und verwies auf ihren Knöchel, den sie sich beim Sturz verknackst hatte. Der Geschäftsführer, ein in Frack gekleideter, graumelierter Mittfünfziger, stand erst völlig entgeistert da und lächelte dann wie ein Vater, dessen Kind statt der Weihnachtsgeschichte einen zotigen Witz erzählt hat, fasste sich schließlich und schob Maureen, die zu diesem Zeitpunkt bereits keine Kellnerin mehr war, eilig aus dem Saal. Wenig später ertönte aus einem entfernten Raum, der die Küche sein musste, ein lautes Klirren, das sich nach dem Zerbrechen etlicher Teller anhörte, und während alle am Tisch empört tuschelten und den Kopf schüttelten, wusste Lennard, dass er die Frau seines Lebens gefunden hatte.
     
    Am nächsten Tag fuhr Lennard in seinem gebrauchten goldfarbenen Buick Skylark , den er eine Woche zuvor gekauft hatte, zu dem Restaurant und schaffte es, durch eine der Küchenhilfen Maureens Adresse herauszufinden. Sie wohnte in einem Zweizimmerapartment in einem Viertel, durch das Lennard und Sune früher mit dem Bus gefahren waren und das seit Jahren in einem Zustand zwischen Vernachlässigung und Verfall stagnierte. Die von Abfall gesäumten Straßen waren voller Schlaglöcher, Ampeln funktionierten nicht, und Verkehrsschilder waren mit Farbe beschmiert. Trotzdem fuhren Autos, und alle paar Wochen tauchte ein städtisches Reinigungsfahrzeug oder ein Tankwagen voll flüssigen Teers auf und betrieb ein wenig Kosmetik. Die Häuser befanden sich teilweise in erbarmungswürdigem Zustand, und von den Lampen, die zwischen den Fassaden an Leitungen hingen, brannte nur jede dritte, aber es kam auch immer wieder vor, dass plötzlich und wie durch ein Wunder Löcher verputzt, Mauern neu gestrichen und Glühbirnen ausgewechselt wurden.
     
    Maureens Wohnung lag über einem Geschäft, dessen einzige Schaufensterscheibe mit Packpapier abgedeckt war und vor dem es sich ein streunender Hund bequem gemacht hatte. Es erstaunte Lennard, dass in einer solchen Gegend die Tür zum Treppenhaus nicht abgesperrt war und jeder, der wollte, den dunklen Flur betreten konnte. Was ihn nicht verwunderte, waren die defekte Klingel und das Fehlen einer Gegensprechanlage, doch er war froh über diese technische Rückständigkeit, denn noch während er die Stufen emporstieg, wusste er nicht, wie er die Frage, was er wolle, beantworten sollte.
     
    »Weißt du, was er gesagt hat?« fragte Sune und füllte Wilburs Glas erneut mit Limonade. Wilbur schüttelte den Kopf. Er saß in Sune Nordahls Küche und sog die Geschichte seiner Eltern auf wie ein vertrockneter Boden den Regen. Sune stand am Herd und kochte Abendessen. Wann immer die Pfannen und Töpfe es erlaubten, drehte Sune sich um und erzählte, als habe er jeden Satz, jede Wendung, jede Betonung und jede Pause jahrelang einstudiert und nur darauf gewartet, dass Wilbur von weit her kommen, sich hinsetzen und zuhören würde. Er stellte sich hin und spielte Lennard, der nach Jahren doch noch sein Freund geworden war, versteckte den Kochlöffel hinter dem Rücken und sagte zu Maureen, die die Wohnungstür geöffnet hatte und ihn mit einem Blick, in dem Wiedererkennen und Skepsis lagen, ansah: »Mein Name ist Lennard Arne Sandberg, und ich liebe Sie!« Sune streckte Wilbur

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