Nach Hause schwimmen
Imitationen des Glücks. Sie sah ihren Vater, dessen Präsenz das Haus erfüllte, ohne dass er wirklich vorhanden war, der tagelang in seinem Zimmer hockte und in den vergilbten Artikeln über den Untergang eines Schiffs verschwand, der selbst allmählich versank, schwer von einer Last, die niemand kannte, der plötzlich da war, wenn es verlangt wurde, der einen gebrochenen Arm betrauerte und gute Noten lobte, der einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer schleppte und an Maureens drittem Geburtstag die Tür zum Garten öffnete, wo angeleint ein junger Hund mit einer roten Schleife um den Hals saß.
Sie sah ihre Mutter, deren Schönheit nie verklingende Musik war, nie endender Sommer, die untragbare Kleider nähte und das Kochen aus Büchern lernte, die manchmal heimlich rauchte und weinte, die ohne Hilfe einen Zaun um den Gartenteich baute, die an Feiertagen Kerzen anzündete und Lieder sang und ihren Mann auf die Wange küsste, die sonntags zur Kirche ging, nicht an Wunder glaubte und nicht an die Veränderbarkeit des Schicksals und ihrer Tochter das Gegenteil predigte. Sie sah eine starke, einstmals lebensfrohe Frau, die den Eid, den sie vor dem Pfarrer, Gott und der Welt geleistet hatte, nicht brechen wollte undbei ihrem Mann blieb, auch nachdem sie sich die Sinnlosigkeit ihrer Ehe längst eingestanden hatte.
Mit einundzwanzig ging Maureen aus Irland weg. An einem Septembermorgen verließ sie ihre untröstliche Mutter, den altersschwachen Collie und den von Jahr zu Jahr schemenhafter werdenden Vater mit einer Erleichterung, die sie erschreckte. Orla hatte gewollt, dass ihre Tochter in Cork blieb und studierte, aber in Wirklichkeit ertrug sie den Gedanken nicht, mit Eamon alleine in dem großen Haus zurückzubleiben. Trotzdem kaufte sie das Flugticket nach Ontario, wo eine Cousine von ihr lebte, und besorgte genügend American-Express-Travellerschecks, um Maureen zwölf Monate komfortabel und vierundzwanzig in Bescheidenheit reisen zu lassen. Wenn das Geld aufgebraucht wäre, redete Orla sich ein, würde ihr Kind zurückkommen.
Während des ersten Sommers durchstreifte Maureen Kanada, im Winter arbeitete sie in Mexiko als Zimmermädchen. Sie hatte einen Liebhaber in Montreal und einen in Acapulco, vor Aufregung japsende Bürschchen, deren erhitzte Gesichter sie vergessen hatte, kaum saß sie im Bus. Ihr Herz war ungebunden, ihr Gepäck leicht, und ihre Ziele suchte sie sich so willkürlich aus wie die Gelegenheitsarbeiten, mit denen sie sich über Wasser hielt, nachdem der letzte Scheck eingelöst war. In Miami kellnerte sie auf einem Ausflugsboot, in Chicago saß sie an der Kasse eines Supermarkts, Baltimore erschien ihr so trist wie ihr Job als Putzfrau, und aus Washington floh sie vor einem Mann, der ihr Boss in einem Souvenirladen war und sie heiraten wollte. Sie lebte ein halbes Jahr im mexikanischen Monterrey an der Grenze zu Texas und danach ein halbes in Charleston, South Carolina, hatte eine Affäre mit einem Mathematikprofessor, der für sie seine Frau sitzenließ, beteiligte sich an der jährlichen Green-Card-Verlosung und hatte Glück. Weil ihr der Name gefiel, ging sie nach Philadelphia, wo sie als Schuhverkäuferin, Telefonistin und schließlich Kellnerin arbeitete und Lennard Arne Sandberg begegnete.
Henrik und Katarina waren von Lennards Plänen alles andere als begeistert. Dass er sich in diese rotzfreche irische Kellnerin verguckt hatte, wollten sie ihm noch als Flausen eines in romantischen Angelegenheitenunerfahrenen Jungen durchgehen lassen, die sich im rauhen Klima der Realität bald verflüchtigen würden. Aber seine Absicht, der Firma Marklund und einer blendenden Karriere den Rücken zu kehren, lasteten sie ihm an wie ein Verbrechen gegen die Familie, gegen ihre Ideale und gegen das ganze Land, dem er so viel zu verdanken hatte. In Gesprächen und schließlich einem langen Brief versuchte Lennard den beiden verständlich zu machen, wie groß seine Liebe zu dieser Frau und wie unumstößlich sein Entschluss war, sie zu heiraten und fortan Cellos zu bauen. Doch Henrik und Katarina hatten für diese Absichtserklärungen, die in ihren Ohren wie Süßholzgeraspel eines hormonell überschwemmten dummen Burschen klangen, keinerlei Verständnis, und als sie begriffen, dass es ihm ernst war, warfen sie ihn aus dem Haus und der Firma und verstießen ihn aus ihrer Sippe.
Lennard und Maureen warteten bis zum Mai des nächsten Jahres, dann gaben sie sich das Jawort in einer weiß gestrichenen
Weitere Kostenlose Bücher