Nach Hause schwimmen
zum nächsten Gewässer entfernt stand.
Nach einer Woche flogen Harold, Louise und George zurück nach London. Alice beneidete sie um ihre Flucht vor der drückenden Hitze New Yorks ins kühle England. Sie arbeitete jetzt jeden Tag im Reformkostladen, auch samstags. Clive hatte ein Rückenleiden und musste ins Krankenhaus, ein künstliches Hüftgelenk schien unumgänglich. Trevor geriet in Panik, weniger wegen der fehlenden Arbeitskraft, als vielmehr weil er eine Ahnung davon bekam, wie alt er und sein Geschäftspartner waren.
Wenn Wilbur nicht beim Einräumen der Regale half, das Lager aufräumte, die Schaufensterscheibe reinigte oder einen Stapel von Clives handgeschriebenen und fotokopierten Handzetteln verteilte, saß er in einem klimatisierten Kino. Nachdem er an drei Nachmittagen hintereinander die Die-Hard -Trilogie gesehen hatte, ging er in die Bibliothek und las alles, was es an Lektüre über Bruce Willis und seine Filme gab. Zwei Wochen später setzte er sich mit einem Berg Notizen vor dem offenenFenster an den Küchentisch und schrieb den ersten Satz einer Biografie mit dem Titel The Life And Death Of Bruce Willis .
Gegen Abend, wenn die Hitze erträglicher wurde, durchstreifte er zu Fuß die Straßen, oft zwanzig Blocks und mehr. Manchmal setzte er sich in einen Bus, stieg irgendwo aus und erkundete fremde Quartiere. Wenn ein alter Mann auf einem Klappstuhl vor einem Haus oder einer Mauer im Schatten eines Baumes saß, zeigte Wilbur ihm das Foto seines Vaters und fragte, ob er den Abgebildeten schon einmal gesehen habe. Die Männer nahmen Wilbur in Augenschein, verwarfen den Gedanken, er sei von der Polizei, und betrachteten das Bild mal flüchtig, mal eine kleine Ewigkeit. Einige fragten, wer das sei, andere wollten wissen, ob es sich um einen gesuchten Verbrecher handle, aber keiner kannte Lennard Sandberg.
In einem der beiden Briefe, die Lennard nach Schweden geschickt hatte, erwähnte er einen Freund in Brooklyn, nannte aber weder Namen noch Adresse. Bei jedem Streifzug hielt Wilbur nach der roten Tür mit der weißen 73 Ausschau, obwohl ihm klar war, dass sie irgendwo in New York sein konnte und vielleicht längst übermalt, ausgewechselt oder samt dem dazugehörenden Gebäude verschwunden war.
Als er von einer seiner vergeblichen Suchaktionen zurückkam, lag ein Brief von Conor im Briefkasten. Wilbur setzte sich im kühlen, dämmrigen Treppenhaus auf die untersten Stufen und riss den Umschlag auf. Conor schrieb, es gehe ihm gut, obwohl unter dem neuen Direktor ein rauherer Wind in Four Towers wehe. Er bedankte sich für das Geld, das man ihm jedoch nicht ausgehändigt habe, sondern für ihn verwahre, bis er entlassen werde. Er gebe sich Mühe, nicht aufzufallen, und hoffe, bald rauszukommen und Wilbur in New York besuchen zu können.
In der Wohnung ging Wilbur unter die Dusche, während Alice kochte. Nach dem Essen spülte er das Geschirr, und Alice sammelte die schmutzigen Kleider zusammen, um sie in die Waschküche zu bringen. Dabei fiel das zerknitterte, abgegriffene Foto von Lennard Sandberg aus der Tasche von Wilburs Hose. Alice hob es auf und betrachtete es lange.
»Ist das dein Vater?« fragte sie schließlich.
Wilbur zuckte zusammen und drehte sich um. Alice sah noch immer das Bild an. Wilbur hatte mit ihr nie über seine Suche gesprochen. Er wusste, dass sie ihm angeboten hätte zu helfen, aber er wollte nicht, dass sie ihre Zeit damit verschwendete, nach jemandem zu forschen, der vermutlich längst tot war. Er zog es vor, die unvermeidliche Enttäuschung mit niemandem teilen zu müssen.
»Ja«, sagte er.
Alice setzte sich an den Tisch. »Ich glaube, ich kenne ihn«, sagte sie leise.
Wilbur wartete, aber Alice sagte nichts mehr, sah nur das Foto an. Er setzte sich hin, wie benommen. Durch die offenen Fenster drangen Verkehrslärm, die Rufe von Nachbarn, das Musikgewirr zahlloser Fernsehapparate und Radios. Mit der Sonne war das grelle Licht verschwunden, aber die verzehrende, von keinem Windhauch bedrohte Hitze blieb. Alice setzte sich Wilbur gegenüber an den Tisch, dann erzählte sie ihm von ihren Zusammenbrüchen und den Aufenthalten in den Kliniken. Und sie erzählte ihm von dem Mann, der ab und zu bei den Treffen der Anonymen Alkoholiker aufgetaucht war.
Am nächsten Tag trafen sie Robert Brent, den damaligen Leiter der Gruppe, und zeigten ihm das Foto. Brent erinnerte sich an den schweigsamen Mann, wusste aber auch nicht mehr über ihn als das, was dieser am
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