Nach Hause schwimmen
kläglichen Scheitern seiner Versuche, bei Zelda Prescott zu landen, wollte er eine Weile nichts mehr von Frauen wissen, aber jetzt wärmt eine neue Flamme sein altes Herz. Sie heißt Iris Rawlings, ist seit drei Jahren Witwe und kinderlos. Ihr Mann hatte eine Druckerei besessen, nichts Großes, sagt Alfred, aber in einer guten Gegend. Das Gebäude alleine habe vermutlich über eine Million gebracht. Alfred hat Iris bei einer Dichterlesung in der öffentlichen Bücherei kennengelernt, wo sie ehrenamtlich arbeitet. Er hat mit Poesie etwa so viel am Hut wie mit seriöser Arbeit oder Steuererklärungen, aber er ist ein begnadeter Schauspieler und genial, wenn es ums Improvisieren geht. Bei seiner ersten Begegnung mit Iris muss er zu Höchstform aufgelaufen sein, denn schon eine Woche später hat er davon gesprochen, mit ihr zusammenzuziehen.
Wir haben auch ohne Alfreds Zimmer genug zu tun. Unter Mazurskys Teppich kommen keine Holzdielen, sondern schimmlige Spanplatten zum Vorschein, was bedeutet, dass wir Parkettboden auftreiben müssen. Mit Winstons Hilfe finden wir einen Restposten Eiche dunkel für achtzig Dollar. Die Hälfte davon bezahlt Randolph aus der Kasse für Instandhaltungsarbeiten, Mazursky übernimmt die andere Hälfte. Wegen seines verstauchten Fußes kann er Enrique und mir beim Entfernen des Teppichs und der Spanplatten nicht helfen, dafür erzählt er uns seine Lebensgeschichte, inklusive Kindheit in Hell’s Kitchen, Gaslampen und Bandenkriegen. Er beteuert, früher ein toller Hecht gewesen zu sein, zählt die Namen seiner Freundinnen auf und kramt verblichene Fotos aus der Kommode, die auf dem Flur steht. Er macht uns mit seiner Theorie zur Ermordung Kennedys vertraut und schildert die erste Mondlandung, als wäre es gestern gewesen. In einem Nebensatz erwähnt er eine gescheiterte Ehe und ein Kind, verklärt seine Zeit beim Militär und zeigt uns Briefe ehemaliger Kameraden, die alle tot sindoder irgendwann aufgehört haben, ihm zu antworten. Was er nicht erzählt, ist, warum es ihn an diesen Ort verschlagen hat, und wir fragen ihn nicht danach.
Mazurskys Einweihungsfest ist rauschender als das von Elwood. Ran dolph überrascht alle und lässt von einem nahen Imbisslokal Essen für uns kommen, und obwohl im Hotel laut Hausordnung Alkoholverbot herrscht, drückt er beide Augen zu und trinkt mehr, als er verträgt. Am Schluss sind außer mir und Dobbs alle betrunken, sogar Elwood, der behauptet, man habe ihm das Bier als alkoholfrei angedreht.
Nachts sitze ich hinter dem Empfangstresen, lese oder surfe im Internet. Leonidas schickt mir regelmäßig Mails. Er ist von Griechenland über die Türkei nach Deutschland gereist und lebt jetzt in Berlin mit einer Gruppe von Malern und arbeitslosen Schauspielern. Er schreibt, Sprache sei überholt, die bildende Kunst habe ihm die Augen geöffnet. Wenn er nicht gerade seinen Lebensunterhalt mit unterbezahlten und gesundheitsgefährdenden Aushilfsarbeiten verdient, malt er im Keller des Wohngemeinschaftshauses Bilder. Ich berichte ihm, was im Hotel läuft, dass wir zwei neue Dauergäste haben, Harvey und Joe, und dass Spencers Zeichnungen die Sitzecke in der Lobby adeln. Dass ich ein paar der Zimmer renoviert habe, schreibe ich ihm auch.
Er schickt mir digitale Aufnahmen seiner Werke als Fotodateien und bittet mich um Bilder der verwandelten Zimmer. Leonidas’ Gemälde sind zwei mal drei Meter groß und ungegenständlich, eine Stilrichtung, die ihm als blutiger Anfänger am meisten entgegenkommt. In einem Fotoladen leihe ich mir eine Digitalkamera und mache Aufnahmen von Dobbs’, Elwoods, Mazurskys und meinem Zimmer und von der Galerie in der Lobby. Während ich die makellos weißen Wände mit den gerahmten Bildern fotografiere, fällt mir auf, wie heruntergekommen der Rest der Lobby ist.
Am nächsten Tag hebe ich eine Ecke des Teppichs neben einem Sofa hoch und sehe, dass darunter ein tadellos erhaltener Holzboden liegt. Der Teppich ist nicht verleimt, sondern mit Messingschienen an den Boden geschraubt. Ich frage Randolph, ob er etwas dagegen hat, wennich die Lobby ein wenig aufpoliere, und er lässt mir freie Hand. Enrique, Alfred und Harvey, einer der beiden neuen Dauergäste, helfen mir dabei, die Möbel zu verrücken. Harvey Kurz ist dreiundsiebzig und der optische Zwillingsbruder von Gene Hackman. Er hat ein Vierteljahrhundert lang als Außendienstmitarbeiter Rasenmäher verkauft und dann, nachdem sein Arbeitgeber in Konkurs ging, noch
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