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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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einmal so lange die unterschiedlichsten Jobs gemacht, von Gärtner, Wachmann und Kellner bis zu Autowäscher und Küchenhilfe, immer ein wenig schlechter bezahlt, immer ein wenig entwürdigender. Wie alle alten Männer im Hotel, hat auch Harvey keine Verwandten, die sich um ihn kümmern oder ihn sogar aufnehmen könnten. Sein älterer Bruder, mit dem er sich eine winzige Wohnung in Queens geteilt hat, ist vor zwei Monaten gestorben, und alleine brachte er das Geld für die Miete nicht mehr auf. Jetzt wohnt er bei uns, im Zimmer neben Dobbs. Er sagt, er bleibe wahrscheinlich nicht lange, das New Yorker Klima bekomme ihm immer weniger. Aber ich glaube, Harvey wird uns eine Weile Gesellschaft leisten. Er ist ein umgänglicher Kerl, sogar mit Mazursky versteht er sich erstaunlich gut, obwohl der ihn schon am ersten Abend bezichtigt hat, beim Poker zu betrügen. Außerdem ist Harvey pleite. Er bekommt Sozialhilfe, aber das ist zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Auf jeden Fall reicht es nicht, um in Key Largo einen Laden für Angelzubehör zu eröffnen.
    Wir rollen den Teppich auf und tragen ihn in den Heizungsraum. Ich kaufe Spachtelmasse, um die Risse und Nagellöcher und tiefen Kratzer zu füllen. Es gibt das Zeug in verschiedenen Farbtönen, und wenn es ausgehärtet ist, sieht es aus wie Holz. Dann schleifen wir den Boden, aber nur, um die Flecken und feinen Schrammen zu beseitigen. Enrique hat einen Aushilfsjob in einem Supermarkt gefunden und muss uns am frühen Nachmittag verlassen, aber Harvey und Alfred bleiben, und sogar Mazursky widmet sich hingebungsvoll einer Ecke und erinnert uns alle paar Minuten mit einem lauten Stöhnen daran, dass ihm sein Fuß noch immer Schmerzen bereitet. Alfred ist schlecht gelaunt, weil Iris ohne ihn nach Denver geflogen ist, wo einer ihrer Neffen heiratet.
    »Vermutlich hält sie mich für nicht vorzeigbar«, sagt Alfred.
    »Ihr kennt euch doch erst ... wie lange? Drei Wochen?« Ich hätte lieber etwas anderes gesagt, etwas Fieseres, das Alfred auf die Palme bringt,aber ich weiß, wie ernst ihm die Sache mit Iris ist und dass er tödlich beleidigt wäre, wenn ich über seine hehren Absichten witzeln oder sie gar anzweifeln würde.
    »Fast vier, einen ganzen Monat. Wenn ich einen Neffen hätte, der mich zu seiner Hochzeit einlädt, würde ich Iris mitnehmen.«
    Mazursky stemmt sich ächzend hoch und trinkt einen Schluck Wasser. »Habt ihr beiden eigentlich schon ...« Er steht grinsend da, die Hose gepudert vom Holzstaub. »Du weißt schon.«
    »Es geht dich zwar einen feuchten Kehricht an, aber die Antwort ist nein. In dieser Beziehung geht es um Vertrauen, Respekt, seelische Verbundenheit. Dinge, von denen ein seniler Dummschwätzer wie du keinen Schimmer hat.« Alfred tobt sich mit seinem Sandpapier schon seit einer Ewigkeit an derselben Stelle aus.
    »Du schleifst noch eine Mulde in den Boden«, sage ich zu ihm.
    Alfred rutscht ein Stück weiter. »Ich bin ihr nicht gut genug, so sieht’s aus.«
    »Sie will nichts überstürzen«, sage ich, um Alfred aufzumuntern.
    »Sie will sich nicht festlegen«, sagt Mazursky, »wenn ihr mich fragt.«
    »Dich fragt aber keiner«, sagt Alfred. Er steht auf und holt ein neues Stück Sandpapier.
    Eine Weile arbeiten wir schweigend. Randolph sitzt hinter der Empfangstheke und hört Radio, aber so leise, dass wir den Sprecher nicht verstehen. Obwohl Randolph weit davon entfernt ist, reich zu sein, hört er den ganzen Tag Radiosendungen zum Thema Wirtschaft und Finanzen. Während seiner Schicht ist er dauernd vom Flüstern der Börsengurus umgeben, vom geheimnisvollen Murmeln der Analysten. Von Alfred weiß ich, dass Randolph in einem Mietshaus in der Nähe wohnt, das es in Sachen Schäbigkeit mit dem Hotel aufnehmen kann, und aus Mazurskys zweifelhafter Quelle stammt die Information, Randolph habe vor Jahren viel Geld mit Aktien verloren. Ich wünschte, Dobbs würde sein Radio runterbringen und wir könnten Swing hören statt die unverständliche Litanei von Gewinn und Verlust.
    »Sie vermisst ihren Mann«, sagt Harvey plötzlich in die nur von Schleifgeräuschen, Mazurskys gelegentlichem Stöhnen und dem Radiowispern gestörte Stille.
    »Was?« Alfred wischt sich Schweiß von der Stirn.
    Erst sieht es so aus, als bereue Harvey, etwas zum Thema Alfred und Iris beigetragen zu haben, aber dann sagt er: »Sie kann ihren Mann nicht vergessen. Sie liebt ihn noch immer.«
    Alfred starrt Harvey eine Weile an, dann beugt er sich wieder über den

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