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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Fichtennadeln riechend. Eine Handbreit unter der Raumdecke brennen zwei Lampen, schwache Birnen hinter Milchglasscheiben von der Größe einer Tafel Schokolade. Die Kontrolllämpchen an den Kameras versichern mir rot leuchtend, dass man ein Auge auf mich geworfen hat. Nachtsichtgerät, denke ich, Restlichtverstärker, Infrarot, Thermosensoren. Ich frage mich, was mein Zimmer wohl den Steuerzahler kostet, Leute, die mich nie gesehen haben und denen es egal wäre, wenn ich auf dem Grund des Meeres läge, zwischen Seesternen und Autoreifen, geschaukelt von Ebbe und Flut.
     
    Die Überbleibsel eines Schlafmittels geistern durch mein System. Ich bin durstig, setze mich auf, lasse die Beine baumeln und warte. Ich zähle bis zehn, dann bis zwanzig, schließlich von vorne bis dreißig. Ich stehe auf und gehe zur Tür, taste sie ab, mache die Augen zu und spüre das rau he Holz, die Risse, das dunkle Rot, das in meine Fingerspitzen sickert. Ich öffne die Augen, als meine Zehen etwas Weiches berühren, eine weiße Schlange, zusammengerollt vor meinen Füßen. Eine Weile stehe ich da, meine Augen gewöhnen sich an das wenige Licht, dann schiebe ich das Knäuel ein Stück über den Boden, hebe es schließlich auf und halte den Gürtel des Bademantels in den Händen. Ich bleibe stehen, nackt, und zähle still meine Schätze. Ein Bademantelgürtel. Zwei Gummischlappen. Ein Kissen und eine Decke ohne Bezüge. Ein unzerreißbares Laken. Das kreditkartengroße Heftpflaster an meinem Handgelenk. Meine schadhaften Erinnerungen. Meine defekte Phantasie.
    Ich setze mich hin, der Boden ist warm, und drehe den Gürtel in den Händen, binde mir einen Schlips, übe Seemannsknoten. Dann ist er eine Peitsche, ich schlage auf Pferderücken ein, schnalze mit der Zunge. Wells Fargo, Post für Santa Fé. Danach ist der Gürtel eine Angel, die Schlappen sind bunte Fische. Ich knüpfe eine Schlinge, steige aufs Bett und werfe das Lasso, aus den Fischen sind Kühe geworden, Longhorns, ich bin Adam, Hoss, Little Joe, die Bullen sträuben sich, Pa wartet mit dem glühenden Brandeisen.
    Die beiden Pfleger, die in mein Zimmer stürzen, kenne ich nicht, sie müssen die Nachtschicht sein. Sie packen mich nicht grob, aber beherzt an beiden Armen, wie es ihre Kollegen getan hatten. Bestimmt lernen sie diese freundliche Überwältigung während der Ausbildung, und ich stelle sie mir vor, wie sie vorsichtig übereinander herfallen und versuchen, nicht zu kichern. Der eine, ein großer Dünner mit langen Haaren, redet auf mich ein in einer Melodie und Sprache, wie ich sie aus einer Dokumentation über Menschen kenne, die unruhige Pferde besänftigen. Der andere, ein Schwarzer, trägt eine dunkle Jacke, die feucht ist und nach Regen riecht. Um seinen Hals schließt sich der Bügel eines Discmankopfhörers, aus den gelben Schaumstoffpolstern scherbelt Musik. Er atmet heftig, und sein leise ausgestoßenes »Bleib cool, Mann« klingt wie ein Mantra, das er für sich selber herunterleiert.
    Die beiden halten mich mit sanftem Druck fest, bis der Arzt den Raum betritt. Dass ich noch immer das Lasso in der Hand halte, bemerke ich erst, als er es mir wegnimmt. Ich sitze inzwischen auf dem Bett, flankiert von den beiden Pflegern, die sich ein wenig beruhigt haben. Der Arzt betrachtet den Bademantelgürtel, als überlege er, ob er meine paar Kilo getragen hätte. Dann sieht er mich an, und ich glaube Trauer in seinen Augen zu erkennen, Kummer. Tatsächlich seufzt er, bevor er redet.
    »Es tut mir leid«, sagt er. Seine Stimme ist weich, sein Akzent vermag den Patienten die Angst zu nehmen, schlimme Dinge klingen harmloser, wenn sie aus seinem Mund kommen.
    Ich bin kein Patient, denke ich, während Vermeer sich für die Sache mit dem Gürtel entschuldigt und dafür, dass ich wegen eines technischen Defekts für wenige Minuten nicht auf den Monitoren zu sehen war. Ich könnte ihm alles erklären. Das mit Little Joe und den Longhorns. Dass mir langweilig war, dass ich mich nicht erhängen wollte. Woran auch, vielleicht am Bettgestell, das in den Boden geschraubt ist? Oder an einer der Kameras, an die ich ohne Stuhl sowieso nicht rangekommen wäre und die so filigran wirken, als würden sie abbrechen unter dem Gewicht eines Kanarienvogels aus Burt Lancasters Zelle?
    Als ich endlich den Mund aufmachen und alle Irrtümer mit ein paar wenigen klar formulierten Sätzen beseitigen will, als ich meine vorgetäuschte Stummheit beichten und meine sofortige Abreise anbieten will,

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