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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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alle ins Haus, und Wilbur wartete darauf, gerufen zu werden, weil das Fehlen der Zigaretten entdeckt worden war. Aber als Pauline ihn holte, war es nur, weil er dem Besuch ein weiteres Kapitel aus den Erinnerungen des Pfarrers aus den Highlands vorlesen sollte. Während er die Geschichte von armen, gottesfürchtigen Bauern und der Errichtung einer Kapelle erzählte, musste er an seinen Großvater Eamon und dessen Kirche denken und daran, dass dieser verrückte Greis in einem Heim dem Tod entgegendämmerte. Am Ende desKapitels klatschten die alten Damen begeistert, und Mr. Walsh drückte Wilbur fünfzig Cent in die Hand.
    Mit dem Geld kaufte Wilbur am nächsten Tag in Brennan’s Laden eine Schachtel Streichhölzer, ging in den Schuppen und rauchte die erste Zigarette seines Lebens. Jedenfalls glaubte er das, denn davon, dass man den Rauch in die Lungen ziehen musste, wusste er nichts. Der Tabak brannte auf der Zunge und der Qualm in den Augen, und Wilbur verzog das Gesicht wie der Mann im Film. Grimassen schneiden gehörte zum Rauchen wie das Ausspucken von Krümeln und das beiläufige Wegschnippen der Asche. Rauchen war kein Vergnügen, es war ein Ritual, ein Zeichen dafür, dass man hartgesotten war, ein richtiger Kerl, so sah Wilbur die Sache. Wenn er ehrlich war, fand er es sogar ziemlich eklig, aber er war überzeugt davon, dass es ein wichtiger Bestandteil im Leben eines Mannes war, und die Tatsache, dass es gemeinhin als Laster galt, bestätigte seine Theorie nur.
    Schon die nächste Zigarette würde wie selbstverständlich zwischen seinen Lippen stecken und ihm keine Übelkeit mehr verursachen. Irgendwann würde man ihn nur noch rauchend antreffen, eingehüllt in blaue Schwaden, hinter denen seine Augen kalt blitzten.
    Nachdem er die Kippe auf dem Lehmboden ausgedrückt hatte, spielte Wilbur mit den Streichhölzern, legte sie zu Figuren und Buchstaben und zählte sie. Weil ihm das bald einmal zu langweilig wurde, zündete er eines an und dann noch eins. Er ließ sie abbrennen, machte die Spitzen von Daumen und Zeigefinger mit Spucke nass und hielt die Streichhölzer am verkohlten Kopf, bis sie in einer letzten winzigen Rauchsäule erloschen. Dann zündete er Strohhalme an, die herumlagen, danach kleine Holzstücke. Schließlich entfachte er ein Feuer aus Stroh und Reisig und dürren Latten, die sich in einer Ecke stapelten. Die Flammen loderten, von Wilbur aufgeregt kontrolliert, und eine Säule aus sauberem Rauch stieg schnell und fast gerade unter das Giebeldach.
    Erst als Wilbur Laub und Placken von Moos ins Feuer legte, breitete sich Qualm aus, der rasch den Schuppen füllte. Wilbur stocherte hektisch mit einem Schaufelstiel in dem brennenden Haufen und zertrat mit den Schuhen glühende und züngelnde Holzstücke, die er aus dem Brandherd geschoben hatte. Dabei hustete er und rieb sich die tränendenAugen, unterließ es jedoch, die Tür des Schuppens zu öffnen, um seine Anwesenheit nicht zu verraten. Als er das Feuer gelöscht hatte und nur noch ein kokelnder Fleck vor ihm lag, pinkelte er darauf, keuchte die abflauende Panik aus der Brust und kicherte über das Zischen und den süßlich riechenden Dampf, der aus der Glut emporstieg.
    Den Mann, der in der offenen Tür stand, sah Wilbur erst, als er, vom plötzlichen Licht überrascht, den Kopf hob. Obwohl er nicht fertig war, zog Wilbur eilig die Hose hoch und knöpfte sie zu. Der Mann war alt und bärtig und trug einen Mantel, dessen Farbe im abziehenden Rauch von fahlgrau zu braun wechselte, und er stützte sich auf einen Stock. Die Zeit, während der sie sich anstarrten, geriet Wilbur zur Ewigkeit, und er war beinahe erleichtert, als der Mann endlich den Mund aufmachte.
    »Wer bist du?« rief der Alte, und er klang eher neugierig als verärgert. Er stand in der Türöffnung wie eingerahmt. Licht fiel in seinen Rücken und ließ seine Gestalt an den Rändern strahlen. Er erinnerte Wilbur an ein Gemälde im Wohnzimmer der Conways, das Moses zeigte, der einen krummen Stock in der Hand hält, während sein Gewand im Wind weht. Was nicht zu diesem biblischen Bild passte, war die Hornbrille mit den dicken Gläsern.
    Wilbur antwortete nicht. Er wollte stumm bleiben. Darin hatte er Übung.
    Der Mann wiederholte seine Frage und zerrte Wilbur, als dieser schwieg, an der Hand aus dem Schuppen und über eine ungemähte Wiese. Das Gras war feucht vom letzten Regen, und Wilbur bemerkte, dass der Alte nur Pantoffeln an den nackten Füßen trug. Nachdem sie einen

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