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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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werden wollen.
    Zimmer mit Himmelbett und Dusche, Mineralwasser auf dem Tisch, Heineken aus dem Kühlschrank, ausgezeichnetes Abendessen, angenehme und interessante Unterhaltung mit dem Ehepaar Phiquepal und einem weiteren Gast, einem alten Freund der Familie, schließen den Tag mit einem „broche de oro“ (span.), einem „Goldenen Pinselstrich“ ab.
    Auch Ajiz wird nach Strich und Faden verwöhnt, und er hat Gelegenheit, sich einmal richtig den Wanst vollzuhauen. Madame Phiquepal taut extra für ihn Truthahnfilet aus der Tiefkühltruhe auf, dazu gibt es noch Reis für Herrn Ajiz. Er hat sich’s aber auch wirklich verdient!
    Der Jakobsweg zeigt sich von seiner besten Seite, die Enttäuschung von Auch ist mehr als wettgemacht.
    Am Abend vor dem Schlafengehen sehe ich mich zum ersten Mal seit drei Wochen im Spiegel. Fast erkenne ich den schlanken Jüngling nicht, der da vor mir steht! Da sind ja schon einige Kilos verschwunden!

    Dienstag, 14. März Montesquiou — Marciac

Schon wieder diese Motocrossler!

    Das Frühstück — wie könnte es auch anders sein — ist exzellent, die Plauderei wie schon am Vorabend angeregt und interessant, und es wird 10 Uhr, bis ich endlich aufbreche. Bin ich ein Plauschkopf oder war ich in den letzten drei Wochen einfach zu viel alleine?
    Vorher mache ich aber noch einen kurzen Besuch bei Abbé Bernés, dem Nachbarn der Phiquepals. Er hat einen der ersten Führer über den spanischen „Camino de Santiago“ verfaßt, ist sozusagen ein Experte und alter Hase. Und außerdem ein netter, alter Herr, der sich sehr über Pilgerbesuch freut.
    Der Tag verläuft harmonisch, die Etappe ist kurz — 21 Kilometer — , sonnig und landschaftlich reizvoll: Hügel, Felder, kleine Wäldchen, Wiesen, Bäche (= Schlamm!) und leider immer noch — sozusagen als Wermutstropfen in diese Pilgeridylle — die Spuren der Motocross-Idioten. Ich hoffe nur, sie sind nicht auch auf dem Weg nach Santiago!
    In Marciac bietet der „Secours Catholique“, die französische Caritas, Pilgern und anderen Tipplern ein einfaches Quartier an: Bett, Kochplatte, Heizung, Klo und Waschbecken. Und zu meiner Riesenüberraschung auch einen Gutschein im Wert von 40 Francs, zum Einkaufen von Lebensmitteln im Ort. Das nenne ich Nächstenliebe!
    Das Quartier ist ähnlich wie in Revel, aber viel sauberer! Ein älteres Ehepaar schaut darauf, sie bringen mir sogar frische Bettwäsche und Handtücher. Der heilige Jakob soll es ihnen lohnen!
    Mit den 40 Francs gehe ich gleich einkaufen und bereite mir zur Feier des Tages ein Festessen. Wenn ich so zurückblicke, überwiegen eigentlich die „Feiertage“, und Schlamm, Wind, Kälte, Regen und Schnee verblassen zu einer schwachen Erinnerung.
    Heute habe ich den Rhythmus der ersten Tage wieder verspürt, an denen ich fast wie in Trance unterwegs war. Wahrscheinlich, weil der Streß mit dem Weg, besser gesagt mit dessen miserablem Zustand, nachläßt und das Wetter zum Gehen wirklich ideal ist.
    Wahrscheinlich haben die Motocross-Fahrer nur die Aufgabe, mich immer daran zu erinnern, daß ich mich auf einer Pilgerfahrt befinde, und mich am totalen Abheben zu hindern.
    Es ist erstaunlich! Jetzt bin ich schon drei Wochen unterwegs, habe erst einen Ruhetag eingelegt, lege täglich im Schnitt etwa 30 Kilometer zurück, manchmal unter schwierigen klimatischen Bedingungen, und habe gesundheitlich noch überhaupt keine Probleme gehabt. Keine Blasen, keine Zerrung, keine Sehnenscheidenentzündung, nicht einmal Muskelkater oder Krampf! Auch der Bandscheibenvorfall, den ich vor fünf Jahren hatte und damals nicht operieren ließ, bereitet mir keinerlei Beschwerden. Meine Gehwerkzeuge funktionieren ausgezeichnet, obwohl sie wie noch nie vorher in meinem Leben beansprucht werden. Das verdanke ich sicher meinen Schuhen, festen knöchelhohen Trekkingschuhen aus Leder, mit einer „Hochwasserlinie“ vier Zentimeter über der Sohle, aber auch dem Training, das ich mir in der Vorbereitung auf das Projekt „Jakobsweg“ habe angedeihen lassen: lange Märsche, bewußt in schnellerem Tempo, bewußt auch — teilweise — ohne Proviant oder Wasser, manchmal vier bis fünf Stunden ohne Pause. Das macht sich jetzt sehr bezahlt. Zwischen Aufbruch in der Früh und Mittagspause mache ich kaum einmal Rast, gehe so an die vier Stunden durch und bringe damit meistens mehr als die Hälfte der Tagesstrecke hinter mich, die ich am Abend vorher festgelegt habe. Wenn es das Wetter erlaubt, gehe ich so lange, bis ich

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