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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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einen wirklich schönen Platz finde — eine mit Blumen übersäte Wiese, eine mächtige Eiche, ein Bächlein, eine Bank an einem Brunnen... und dann wird ausgiebig genossen. Die Landschaft, die Ruhe, der Frieden und natürlich die wohlverdiente Jause, die meistens aus Wein, Brot, Wurst, Käse und Obst oder einem Keks zur Nachspeise besteht. Die von Schuhen und Socken befreiten Füße atmen tief durch, und zum krönenden Abschluß verschreibe ich mir — oder besser gesagt: uns, denn auch Ajiz weiß diese zu schätzen — eine erholsame Siesta. Diesermaßen an Leib und Seele gestärkt, nehme ich den Rest des Tages — meistens — gutgelaunt in Angriff.
    Wichtig ist auch, daß es mir mental gutgeht. Ich fühle mich motiviert und habe Vertrauen in mich, meine Ausdauer, meine Widerstandskraft; aber auch das Vertrauen in meine Umwelt — Mensch, Tier, Wetter — ist unerschütterlich. Daher habe ich auch meine Einsamkeit, die übrigens nur relativ ist, Ajiz ist ja nicht niemand, bisher nicht als belastend empfunden.
    Sicher, es gab Momente der Krise, doch diese hingen meistens mit dem Weg, dem Wetter oder beidem zusammen, und ich überwand sie in der Regel mit Fluchen und/oder zusammengebissenen Zähnen. Dazu kommt, daß ich sowohl für Kälte als auch für Nässe gut ausgerüstet bin und deshalb, auch wenn ich herzhaft fluche, eigentlich nicht richtig darunter leide.

    Mittwoch, 15. März Marciac — Bentayou-Serré

Der Pilgerstock

    Der Tag beginnt kalt, windig, bedeckt. Nicht gerade optimal, aber zum Gehen okay. Ich komme schnell vorwärts, ziehe mit Erfolg meine eigene Linie — mit immer größerer Sicherheit und Selbstverständlichkeit — und bin gut unterwegs. Landschaftlich ist die Gegend nicht besonders reizvoll, seit Tagen schon wechseln sich Äcker, Entwässerungsgräben und nur hin und wieder kleine Wäldchen ab. Aber erstens bin ich kein Tourist und zweitens sieht man bei dem Wetter ohnehin nicht viel. Wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, nach Santiago zu gehen, wäre ich hier nicht tagelang unterwegs. Von wegen „der Weg ist das Ziel“! Ohne mein Ziel würde ich diesen Weg nie auf mich nehmen.
    Ab 13 Uhr beginnt es dann noch ordentlich zu wascheln. Zu allem Überdruß wird auch die Markierung äußerst schlecht bzw. inexistent und der Weg immer sumpfiger. Ich fluche wieder einmal, stapfe verbissen vor mich hin, beschließe aber, trotz des Sauwetters nicht zu dem im Führer vorgeschlagenen Etappenziel (wieder einmal ein „Centre Equestre“ — schon das dritte!) zu gehen. Ich spare mir diese 1 ½ Stunden Umweg durch sumpfiges Gelände und bleibe auf der kleinen, zwar asphaltierten, aber praktisch verkehrsfreien Straße. Dadurch werde ich weniger naß, spare Zeit und kann für den morgigen Tag schon ein Stück „vorgehen“. Ich vertraue darauf, daß ich trotzdem einen trockenen Schlafplatz finde, der gute Geist des Jakobsweges hat mich bisher ja noch nie im Stich gelassen. Die Gegend ist zwar ziemlich einsam, nur einige Bauernhöfe säumen hin und wieder den Weg — im Grunde bin ich also ganz schön leichtsinnig, ausgerechnet bei einem solchen Sauwetter auf den heiligen Jakob zu setzen, aber wie gesagt, mein Vertrauen ist groß... Und tatsächlich, nach einigem Suchen und Herumfragen — so einfach geht es nun ja auch wieder nicht — finde ich Quartier bei einem sehr netten Bauernehepaar in der Scheune. Ich schlage gerade mein Nachtlager im trockenen Stroh auf — ich freue mich auf diese Nacht — , natürlich mußte ich versprechen, nicht zu rauchen und kein Feuer zu machen, da kommt der Bauer, bringt mir einen alten Militärmantel als Schlafunterlage und lädt mich zum Aufwärmen auf einen Kaffee zu sich ins Haus. Er sperrt sogar seine Hunde in die Garage, damit auch Ajiz mitkommen kann! Nun, aus dem Kaffee wird ein Abendessen (ich muß meinen Proviant draußen in der Scheune wieder in den Rucksack packen) und ein außerordentlich gemütlicher und feiner Abend mit den Bauersleuten. Auch Ajiz kommt nicht zu kurz, er wird — wieder einmal — nach Strich und Faden verwöhnt. Das Phänomen, wie er wildfremde Menschen immer wieder und in kürzester Zeit „erobert“, versetzt mich nur noch in Staunen...
    Wie überall bisher ist das Interesse für meine Pilgerreise sehr groß, ich werde mit Fragen richtiggehend gelöchert und muß viel erzählen. Nichts tu ich lieber als das! Mein Bericht über den Jakobsweg ruft im Bauern eine ferne Erinnerung wach. Er verläßt die Küche und kommt mit einem

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