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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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unscheinbaren, vollgeschriebenen Schulheft zurück, das ihm der alte, mittlerweile verstorbene Pfarrer geschenkt hatte. Und es entpuppt sich als äußerst wertvolle Dorfchronik, die der Pfarrer in den vielen Jahren seines Wirkens zusammengestellt hatte! Der Bauer blättert darin, bis er den Bericht von drei Männern aus dem Dorf findet, die im 17. Jahrhundert zu einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela aufgebrochen waren. Nach ihrer Rückkehr, die übrigens viel schwieriger als der Hinweg war und um einiges länger gedauert hatte — ihnen war das Geld ausgegangen und jeder mußte sich irgendwie, mit Gelegenheitsarbeiten oder Betteln, alleine nach Hause durchschlagen — bewahrte einer der drei seinen Pilgerstock auf. Dieser wurde bald zum Ziel einer kleinen, lokalen Wallfahrt, die Leute kamen, um den Stock, der in Santiago gewesen war, zu berühren und den Apostel Jakobus um eine Gnade zu bitten. Der Stock war mittlerweile so wertvoll geworden, daß ihn die drei Söhne des Pilgers nach dessen Tod in drei Teile schnitten, weil keiner auf die wertvolle Reliquie verzichten wollte.
    Ich sitze da und bin ganz baff. Wieder einmal habe ich das starke Gefühl, daß sich in 1000 Jahren nichts geändert hat und daß ich genauso ein Pilger bin wie die drei aus der Chronik und daß ich als Pilger für die Leute, die mich aufnehmen, etwas Besonderes bin. Ein Erzähler, ein Überbringer von Gebeten und Bitten nach Santiago, ein Vermittler, ein Bote...
    Als ich am späten Abend in mein Strohbett krieche, sehe ich, daß es zu regnen aufgehört hat und der Himmel sternenklar ist. Ein gutes Zeichen für morgen! Ein letzter Gruß zum fast vollen Mond und zu „meinem“ Sternbild Orion (der Jäger mit seinen Hunden!), und zufrieden schlafe ich ein.

    Donnerstag, 16. März Bentayou-Serré — Pau

Die Pyrenäen in Sicht!

    Die Zeichen haben gestimmt, nach dem letzten Guß in den frühen Morgenstunden herrscht jetzt ein wunderbar klares Wetter, der Tag schreit geradezu nach Gehen! Ein Café au Lait mit den Bauersleuten, Adressen haben wir gestern schon ausgetauscht, und ab geht der Pilger. Ajiz würde gerne bleiben und noch stundenlang mit den Hunden von Monsieur Passinelli im Hof spielen. Er drückt sich eng gegen den Hasenkäfig, damit ich ihm die Satteltaschen nicht umhängen kann, aber es hilft nichts, schließlich bin immer noch ich der Chef! Aber das Gehen in der frischen, klaren Morgenluft macht auch ihm Spaß, und nach einer Weile trottet er in seinem gewohnten Gang wieder vor mir her. Der Vorsprung, den ich gewonnen habe, indem ich das „Centre Equestre“ links liegenließ, verkürzt die für heute geplante Etappe beträchtlich, und bei dem schönen Wetter kommen wir außerdem sehr gut voran. Die ohnehin schon ausgezeichnete Stimmung steigert sich noch zusätzlich, als ich, zum ersten Mal seit Toulouse, wieder die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen vor mir sehe, und zwar beträchtlich näher als beim letzten Mal. Das heißt, wir kommen tatsächlich vorwärts!
    Schon am frühen Nachmittag sind wir am Ziel der heutigen Etappe, in Morlaas. Die Frage nach einem Pilgerquartier im Pfarrhaus wird zwar abschlägig beantwortet, aber ich erfahre, daß der „Secours Catholique“ in Pau, nur zehn Kilometer weiter, Pilger über Nacht beherbergt. Da ich schon gute Erfahrungen mit der französischen Caritas in Marciac gemacht habe und es außerdem noch so früh ist, beschließe ich, die zwei Stunden Fußmarsch auf Asphalt noch anzuhängen.
    In der angegebenen Pfarre Ste. Bernadette in Pau weiß der Pfarrer nichts vom Secours Catholique, und Pilger habe er noch nie beherbergt, er wisse gar nicht wo. Da hat mich also der Pfarrer von Morlaas offensichtlich angelogen, wahrscheinlich, um mich auf elegante Art loszuwerden! Ich bin ratlos und ziemlich verärgert. Jetzt habe ich — voller Zuversicht — extra die zwei Stunden Umweg auf mich genommen, noch dazu auf einer scheußlichen und stark befahrenen Straße, und nun das! Was tu ich jetzt in der doch relativ großen Stadt? (Pau ist Departement-Hauptstadt und liegt an sich nicht auf dem Jakobsweg.) Ich mach’ das dem — unschuldigen — Pfarrer auch klar, und er ist so nett und telephoniert herum, bis er schließlich einen Schlafplatz in einer Pfarre findet, die von den Prämonstratensern betreut wird. Er bringt mich sogar noch im Auto hin!
    Und wieder wendet sich alles zum Guten, fast überrascht es mich gar nicht mehr! Ich werde äußerst (gast) freundlich aufgenommen, esse mit den

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