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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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der beeindruckenden gotischen Kathedrale. Drinnen werde ich von einer Dame sofort als Jakobspilger identifiziert, sie verkauft für die Pfarre Ansichtskarten vom und Eintrittskarten für das berühmte Chorgestühl der Kathedrale. Von ihr bekomme ich den ersten Stempel in mein Reisetagebuch und gleich auch eine Einladung zum Mittagessen für den nächsten Tag in Barrdn, das 18 Kilometer nach Auch liegt. Sie beherbergt und verköstigt seit zwei Jahren Jakobspilger und gehört damit zu jener wachsenden Gruppe von Privatleuten, die auf eigene Initiative und ohne jeglichen Auftrag die Tradition der Gastfreundschaft Pilgern gegenüber wiederbeleben!
    Ich könnte auch bei ihr übernachten, aber heute, nach 30 Kilometern, ist es mir bis Barrán doch zu weit und für morgen zu nahe. Außerdem nimmt die Pfarre von Auch, laut Führer, Pilger über Nacht auf. Der Pfarrer ist nicht da, laut Auskunft soll er um 19 Uhr kommen. Ich nutze die Zeit und das milde, frühlingshafte Wetter für einen Rundgang durch die mittelalterlichen Straßen. Auch ist der Hauptort der Gascogne, bekannt für ihre Gänseleberpastete und ihren berühmten Sohn, den Musketier D’Artagnan. Er thront in Überlebensgroße auf einem Sockel im Park hinter der Kathedrale.
    Die Stimmung könnte nicht besser sein. Voller Zuversicht und Vorfreude warte ich auf den Pfarrer, der sicherlich mindestens genauso gastfreundlich ist wie alle Gascogner, die ich gestern und heute kennengelernt habe. Doch dann kommt die eiskalte Dusche: Er entpuppt sich als grantiger, unfreundlicher und abweisender Mensch, dessen Absicht es nie im Leben gewesen war, Pilger bei sich übernachten zu lassen. Im Gegenteil, er hat die Nase voll von all den Typen, die daherkommen und sich auf die Information im Führer berufen, sein Pfarrhaus sei ein Pilgerquartier. Man habe ihn nie gefragt, das sei eine Schweinerei, die Pilger seien ihm wurscht und ich solle mich quasi zum Teufel scheren. Ich als Pilger zum Teufel? Ich bin sprach- und ratlos, denn mit so einem Empfang hatte ich niemals gerechnet. Was nun? Die freundliche Dame aus Barrán ist schon lange weg, und die Nacht bricht langsam herein.
    Die Jugendherberge liegt am Stadtrand, am Telephon antwortet nur die Maschine, also geh’ ich hin, man kann ja nie wissen. Umsonst. Ein ähnlich unfreundlicher Typ wie der Pfarrer — wird Auch vielleicht gerade von einer Seuche heimgesucht? — informiert mich, daß die Jugendherberge eigentlich gar nicht mehr in Betrieb ist. Ach so. Wo soll ich schlafen? Weiß nicht.
    Also wieder zurück in die Stadt. Im billigsten Hotel verlangen sie etwa 400 Schilling. Mit Sicherheit versucht der Besitzer, meine offensichtliche Notlage auszunützen und schiebt als Erklärung für diesen total überhöhten Preis den Umstand vor, daß eine Übernachtung mit Hund eben teurer sei. Nicht mit mir!
    Mittlerweile ist es 21 Uhr geworden, ich bin todmüde und habe nun meinerseits die Nase voll. Da es ein lauer Frühlingsabend ist, beschließe ich, dem D’Artagnan im kleinen Park für diese Nacht Gesellschaft zu leisten. Unter einem kleinen Baum, etwas geschützt vor den Blicken von etwaigen Nachtschwärmern, schlage ich mein Biwak auf. Noch eine kleine Jause, ein Becher Rotwein, ein letzter Gutenacht-Gruß hinüber zu D’Artagnan — also schlafe ich doch noch in guter Gesellschaft! und ich wickle mich für eine kurze Nacht in meinen Schlafsack. Die Kälte weckt mich immer wieder, und auch Menschen, die wenige Meter von uns entfernt anscheinend während der ganzen Nacht durch den Park schlendern, lassen Ajiz und mich immer wieder aus dem unruhigen Schlaf hochschrecken. Aber auch diese Nacht hat ein Ende.

    Montag, 13. März Auch — Montesquiou

Gastfreundschaft

    Ein Croissant und Café au Lait am Hauptplatz vertreiben den letzten Rest Müdigkeit aus mir, ein Blick in die Tageszeitung informiert mich darüber, daß die Welt noch existiert, exzellent ohne mich auskommt und ich überhaupt nichts versäume, und ich bin bereit für einen neuen Pilgertag. Es ist ein feiner Tag zum Wandern — bedeckt, frisch, eine leichte Brise und kein Regen!
    Um 12 Uhr, fast auf die Minute genau, komme ich zu meinem „Rendezvous“ nach Barrán. Bei gutem — und leichtem — Essen und bei angeregter Unterhaltung, naheliegenderweise über den Jakobsweg im allgemeinen und über die feindselige Haltung des Pfarrers von Auch im besonderen, vergeht die Zeit wie im Fluge. Es ist schon 15 Uhr, als ich nach Montesquiou, meinem Tagesziel, aufbreche.

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