Nach Santiago - wohin sonst
m, führen soll.
Ich besuche die beiden sehenswerten Hauptkirchen des Ortes, Ste. Marie und Ste. Croix, besorge Brot und Wein und hänge dann noch zwei Stunden Fußmarsch an die an sich in Oloron endende Tagesetappe. Ich bin immer noch gut gelaunt, habe noch Lust weiterzugehen, und bei dem warmen Frühlingswetter kann ich notfalls auch im Freien oder in einer Scheune übernachten. Und ich finde tatsächlich eine leere, einladend offene Scheune am Rande eines Baches. Genau der Platz, um einen wunderschönen „Arbeitstag“ ausklingen zu lassen. Die Schwüle hat der frischen Abendbrise Platz gemacht, es ist ein traumhaft schöner Frühlingsabend. Den krönenden Abschluß des Tages bildet natürlich die Hälfte des „Confit de Canard“ von Josy, zubereitet mit Reis — ein Festmahl! Ajiz bekommt selbstredend seinen ihm zustehenden Teil, ich rauche noch eine Gute-Nacht-Zigarette und krieche dann in den Schlafsack. Die Füße sind rechtschaffen müde, aber ich bin glücklich. Mit dem Gedanken daran, daß ich bald die Hälfte meiner Pilgerreise geschafft habe, es dann also nur mehr „bergab“ geht, und mit dem Duft des Heus in der Nase schlafe ich ein.
Sonntag, 19. März Oloron (Eysus) — Osse-en-Aspe
In die Berge
Die heutige Etappe ist zwar relativ kurz, da ich am Vorabend noch die zwei Stunden „angehängt“ habe, aber sie erscheint mir trotzdem lang und anstrengend. Es ist der sonnigste und wärmste Tag bisher, das spielt sicher eine Rolle. Außerdem steigt der Weg stetig an, schließlich bin ich ja in den Pyrenäen, unterwegs zum Somport-Paß. Vor allem jedoch ist der Weg teilweise eine richtige Zumutung! Das Tal ist relativ eng, nur auf der doch vielbefahrenen Straße zu gehen wäre entsetzlich, also bleibt als Alternative — laut Diktat des Führers, Ausweichmöglichkeiten sehe ich keine — ein ewiges Auf und Ab auf schmalen steilen, kaum begangenen und dicht verwachsenen, fast nicht sichtbaren Pfaden, oft durch Stacheldraht versperrt oder wegen dichter Brombeerhecken beinahe unpassierbar. Das hat weder viel mit Wandern noch mit Pilgern zu tun! Doch morgen bin ich in Spanien! Und nach allem, was ich bisher erfahren habe, soll der Jakobsweg dort wirklich ein Weg sein, viel begangen, entsprechend gut markiert und gut sichtbar. Und vielleicht treffe ich dann auch die ersten Jakobspilger. Bis jetzt habe ich ja das Gefühl, der einzige Pilger auf der ganzen Welt zu sein — was nicht unbedingt ein schlechtes Gefühl ist, eher im Gegenteil. Aber ich bin halt neugierig auf Gesinnungsgenossen...
Aber trotz des entsetzlichen Weges ist der Tag wunderschön und wieder auch — oder vielleicht vor allem — wegen der Menschen: So um die Mittagszeit, es ist wirklich sehr warm, gehe ich gerade durch Sarrance, ein kleines Pyrenäendorf im Aspe-Tal, als ich einen Mann, weiße Gummistiefel, weiße Schürze, die Zeitung lesend vor einem Haus in der Sonne sitzen sehe. An seiner „Uniform“ erkenne ich den Fleischhauer, und obwohl Sonntag ist — das Dorf hält in der prallen Frühlingssonne gerade seinen Mittagsschlaf — , wage ich, ihn zu fragen, ob er, falls er wirklich der Fleischhauer sei, mir ein paar Fleischreste für Ajiz verkaufen könne. „Selbstverständlich, kein Problem“, ist seine trockene, aber freundliche Antwort. Er legt die Zeitung zusammen, steht auf und sperrt den Laden gegenüber seinem Haus auf. Nach wenigen Minuten kommt er wieder heraus, in der rechten Hand einen etwa zwei Kilogramm schweren Plastiksack — „Das ist für den Hund“ — in der linken Hand zwei köstlich aussehende Hartwürste (saucisson sec) — „Und das ist für dich!“
„Was bin ich schuldig?“
„Nichts, was soll denn diese Frage?“
Ich bin wieder einmal sprachlos! Ich bedanke mich, verstaue den unerwarteten Lebensmittelnachschub irgendwie in dem schon prall gefüllten Rucksack — da ist ja noch das halbgefüllte Einweckglas mit dem „Confit de Canard“ von Josy — und stapfe schwer beladen weiter nach Osse-en-Aspe, meinem heutigen Etappenziel.
Das Gîte d’etappe im Dorf — meine letzte Schlafstelle in Frankreich! — ist ein relativ großes Haus im Dorfzentrum, voll eingerichtet, mit Dusche, Kühlschrank, Küche etc., sauber, mit einem kleinen Vorgarten und — oh Gemütlichkeit! — einem riesigen offenen Kamin. Und ich bin mutterseelenallein. Ich bin eindeutig außerhalb der Wandersaison unterwegs. Außerdem darf ich nicht vergessen, daß der „Chemin d’Arles“ auch deshalb der am wenigsten
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