Nach Santiago - wohin sonst
ich nach Logroño fahren will. Dort „steige“ ich dann wieder in den Camino ein. Die 116 Kilometer bis Burgos möchte ich in drei Tagen schaffen, ich habe meinen Freunden versprochen, Ajiz bis spätestens Samstag mittag abzuholen. Da werde ich Gas geben müssen! Aber ich habe so viel Frustration und Energie in mir aufgestaut, daß ich das sicher schaffen werde.
Mittwoch, 5. April Logroño — Azofra
Endlich wieder Pilger!
Aufstehen im Morgengrauen, ich wecke Miguel, noch ein Kaffee, dann fährt er mich die 15 Kilometer nach Vitoria zum Bus nach Logroño. Das Stück zwischen Los Arcos und Logroño, etwa 25 Kilometer, wird sicher noch eine Weile eine Lücke auf meiner Pilgerfahrt sein, aber es wäre zu kompliziert, mit dem Bus von Vitoria nach Los Arcos zu gelangen, damit ich wirklich dort anfangen kann, wo ich aufgehört habe. Eines Tages schließe ich die Lücke, da bin ich mir hundertprozentig sicher.
Der Bus braucht ewig bis Logroño, so kommt es mir jedenfalls vor. Ich brenne vor Ungeduld, mein Pilgerleben wieder aufzunehmen. Der Bus bleibt öfter stehen, als er fährt, durchquert den Norden Riojas auf kleinen Straßen im Zickzack. Weinfelder, so weit das Auge reicht. — Endlich, gegen 11 Uhr, sind wir in Logroño. Noch schnell auf die Bank, um Pesetas zu wechseln, und dann raus aus der Stadt.
Es ist ein warmer, fast heißer Frühlingstag, ich bin mutterseelenallein am Weg. Ich platze vor Energie und komme entsprechend gut voran. Die fünf Kilometer auf einer vielbefahrenen Straße sind zwar gräßlich, aber in knapp einer Stunde liegen auch sie hinter mir. Der Weg führt durch Felder und über sanfte Hügel, ich finde meinen Rhythmus wieder und fühle mich sauwohl. Ajiz geht mir sehr ab, aber besser, ich gewöhne mich schnell an meinen hundelosen Zustand, denn ändern kann ich ihn sowieso nicht. Dafür belohne ich mich mit einer bukolischen Mittagsrast am Alto de San Antón, einem etwas höheren Hügel mit einem prächtigen Blick ins Land, über den seit Jahrhunderten der Jakobsweg verläuft. Brot, Käse, Chorizo, Rotwein und ein Apfel sind mein Menü und die weite, fruchtbare Landschaft zu meinen Füßen, die absolute Stille, die mich umgibt, der Frieden, der sich in mir ausbreitet, meine Tafelmusik.
Der Nachmittag wird heiß, sehr heiß. Ein Vorgeschmack auf die von den Pilgern so gefürchtete kastilische Meseta?
Nájera würde sich eigentlich als Etappenziel anbieten, im Städtchen gibt es ein gutes Refugio. Aber erstens ist es noch zu früh zum Haltmachen, zweitens möchte ich heute keine Pilger treffen und drittens habe ich einfach noch Lust zu gehen. Meine Ausdauer wird belohnt, denn am Dorfeingang von Azofra, etwa sechs Kilometer nach Nájera, wartet schon ein Empfangskomitee in der Gestalt von drei würdigen, schwarzgekleideten Frauen auf mich. Eine von ihnen, Maria, betreut das kleine Refugio des Dorfes, aber heute war noch kein Pilger angekommen. Also hatten sie und ihre zwei Freundinnen beschlossen, noch ein Stück in Richtung Osten zu wandern, um zu schauen, ob nicht vielleicht doch noch ein Pilger die zusätzlichen sechs Kilometer von Nájera bis Azofra auf sich genommen hat. Und so werde ich als erster Pilger des Tages und damit „Ehrenpilger“ auf das herzlichste empfangen und im Triumph ins Dorf eskortiert!
Das Refugio ist ein Kleinod, nämlich wirklich klein, dafür aber blitzblank geputzt, mit sauberen Betten und einer gemütlichen, gut eingerichteten Küche. Ein Blick ins Gästebuch bestätigt noch einmal meine Vermutung: Nicht viele Pilger übernachten hier, die Eintragungen liegen zeitlich relativ weit auseinander. Eine davon stammt von Jorge, dem Katalanen, der mich in Puente la Reina so nett getröstet hat. Zumindest über das Gästebuch haben wir also noch Kontakt...
Maria besorgt mir von ihrem Bruder eine Flasche Rioja (Rosé — fruchtig, vollmundig, exzellent!), ich kaufe mir zur Feier der Rückkehr auf den Jakobsweg ein Bier und genieße auf der Bank vor dem Refugio den Sonnenuntergang. Am Abend bekomme ich noch Besuch vom Pfarrer, ein weiterer Hinweis auf die eher seltene Anwesenheit von Pilgern im Dorf, denn der Pfarrer wird nicht jeden Abend mit Pilgern plauschend im Refugio verbringen. Maria habe ihm von mir erzählt, und da wollte er nur vorbeischauen, um Grüß Gott zu sagen. Aus dem Grüß Gott wird eine lange und angeregte Unterhaltung, erst knapp vor Mitternacht wünschen wir uns gute Nacht. Kurz nach der Ankunft des Pfarrers klopft es erneut an die Tür,
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