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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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umdrehen, er sieht mich und ruft spontan aus: „Mensch, ein echter Pilger!“ Worauf fast die gesamte Gruppe ihre Objektive auf mich richtet und somit Hühner, Heiliger und echter Pilger zum beglückenden Dreifach-Photoerlebnis werden.
    Bald hat mich die Mittagshitze wieder und leider auch die Straße. Nur wenige Kilometer führt der Weg abseits der Straße, den größeren Teil der Nachmittagsetappe muß ich am Straßenrand zurücklegen. Gräßlich! Da merkt man sehr schnell den Unterschied zwischen einer Wanderung und einer Pilgerfahrt! Zum Glück finde ich doch einen wunderschönen Platz in einem Wäldchen auf einem Hügel für meine Mittagsrast, die so wichtig ist für Leib und Seele. So gestärkt überstehe ich auch den heißen, trockenen und eintönigen Nachmittag. Am Abend, als ich mich müde, aber dennoch flotten Schrittes dem Refugio von Belorado nähere, erwartet mich eine freudige Überraschung: Vor dem Haus sitzen bei Brot, Wein und Käse Manuel und Elena aus Barcelona, Juan aus Venezuela und Tomeo der Mayorquín. Ich hätte mir nie gedacht, daß ich sie alle wiedersehen würde, die Freude darüber ist dafür umso größer! Alle erkundigen sich besorgt nach Ajiz und sind froh, daß es ihm wieder besser geht. Es ist erstaunlich, wie tief ein Tier in die Herzen von Menschen Vordringen kann...
    Wir verbringen einen wunderschönen Abend in dem zum Refugio umfunktionierten Theater. Jeder von uns hat viel zu erzählen, wir haben uns ja schon so lange nicht mehr gesehen! Manuel und Elena seit Puente la Reina, Juan und Tomeo seit Estella. Es ist, als würden wir uns schon seit ewigen Zeiten kennen, so vertraut sind wir uns, so herzlich ist der Umgangston untereinander. Am Tisch sitzen noch eine junge Frau aus Deutschland — sie ist erst vor drei Tagen in den Jakobsweg „eingestiegen“ — und eine Familie, ebenfalls aus Deutschland, mit zwei Kindern, die jedes Jahr in den Osterferien ein Stück des Jakobsweges gehen, so lange, bis sie in Santiago ankommen. Das finde ich eine tolle Idee, mit der Familie einen Urlaub der besonderen Art zu machen. Muß ich mir merken, sollte ich jemals selbst eine Familie gründen.

    Freitag, 7. April Belorado — Burgos

Erste Monsteretappe (53 Kilometer!)

    Heute muß ich Burgos erreichen, ich habe Peggy und Miguel ja versprochen, Ajiz bis spätestens morgen, Samstag, wieder abzuholen. Ursprünglich hatte ich zwar geplant, in Spanien leiser zu treten, sprich kürzere Etappen zu machen, um den Weg und seine Ausstrahlung — Landschaft, Menschen, Kirchen... — intensiver zu genießen. Die schwere Krankheit von Ajiz zwingt mich jedoch, vom Plan abzuweichen. Ob mein Weg wirklich in Burgos zu Ende sein muß? Vielleicht kann ich Jean und Francine bitten, Ajiz in Montpellier in Pflege zu nehmen, damit ich alleine mein Ziel Santiago erreichen kann? Oder muß ich doch irgendwann, in naher oder ferner Zukunft, das letzte Drittel des Jakobsweges vollenden?
    Wie auch immer, wenn ich in Burgos bin, habe ich etwa 1150 km hinter mir, das ist schon weit mehr, als die meisten Pilger jemals zurücklegen. Und es war bisher traumhaft schön, ich muß zufrieden sein.
    So früh ich auch aufbreche — draußen wird es gerade hell — , Juan und auch Elena mit Manuel sind schon weg. Sie gehen langsamer als ich, machen öfter Pause und auch kürzere Etappen. Deshalb konnte ich sie ja auch wieder einholen. Die Familie mit den zwei Kindern bricht gleichzeitig mit mir auf, nur die junge Frau aus Deutschland schläft noch. Es heißt, sie habe körperliche Probleme (jetzt schon?) und sei überhaupt nicht gut drauf, weshalb sie diesen Tag einmal „easy“ angehen wolle. Hoffentlich erfängt sie sich wieder und holen sie ihre offensichtlichen Probleme, die sie in Deutschland zurückgelassen hat, nicht wieder ein.
    Es ist eine helle Freude, früh am Morgen zu gehen! Die Zeit vergeht schneller, auch die Distanzen scheinen kürzer. In Villafranca Montes de Oca decke ich mich mit Brot und Wein ein, denn bis Burgos werde ich wahrscheinlich kein Geschäft mehr zu Gesicht bekommen. Die Montes de Oca („Gänseberge“ — von manchen als Hinweis auf den keltischen Ursprung des Jakobsweges gedeutet, da die Gans von den Kelten als heiliges Tier, als Symbol der Verbindung zwischen Himmel und Erde, verehrt wurde) waren im Mittelalter ob ihrer Wildheit und Abgeschiedenheit von den Pilgern gefürchtet. Oft verirrten sie sich und verdursteten in der trockenen Einöde oder wurden Opfer von Räubern oder Bären und

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