Nach uns die Kernschmelze
kalkulierbar bleiben, was hier offensichtlich nicht gewährleistet ist. Wir haben nicht das Recht, über die Gefahren hinaus, die der Natur innewohnen – Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme usw. –, zusätzliche Gefahrenquellen in unseren Planeten einzubauen. Wir haben ferner nicht das Recht, unseren Nachfahren solche Gefahrenquellen als unveränderbares Faktum aufzuzwingen, zumal wir gar nicht wissen, ob sie sie steuern können und ob später noch die Einrichtungen existieren, die den Schutz vor Einbrüchen in die Gefahrenzonen gewährleisten. Woher wollen wir denn wissen, ob in tausend Jahren die technische Zivilisation noch besteht? Wir können doch nicht ausschließen, dass beispielsweise einmal wieder eine neue Völkerwanderungszeit kommen wird. Und selbst wenn alle diese Visionen unwahrscheinlich sein sollten: Niemand darf das Leben eines anderen verwetten, nur weil die Wahrscheinlichkeit eines günstigen Wettausgangs sehr hoch ist (Vgl. auch oben S. 8).
Ihre Worte sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Schlampereien in der Atomindustrie jetzt dazu benutzen, um in der Bundesrepublik wieder eine allgemeine diffuse Technik-Feindlichkeit zu schüren.
Natürlich kann ich niemanden daran hindern, meine Worte in diesem Sinne zu korrumpieren. Wenn ich aber jede falsche Interpretation ausschließen wollte, dürfte ich überhaupt nichts mehr sagen. Und dann müssten wir das Gespräch an dieser Stelle abbrechen, was für beide Seiten schade wäre. Ich habe ein sehr differenziertes Verhältnis zu den Segnungen der modernen Technik. So bin ich beispielsweise froh, wenn der Zahnarzt mir eine Spritze gibt, bevor er den Zahn zieht. Aber der Mythos der letzten zweihundert Jahre war doch der Gedanke: Es geht irgendwie immer aufwärts, der technische Fortschritt insgesamt, so meinte man, führt in jedem Fall zu einem besseren Leben im Ganzen. Unaufhaltsam marschieren wir einer besseren Zukunft entgegen. Wer sich dem entgegensetzt, ist eigentlich ein böser Mensch. Solche Ideen halte ich für baren Unsinn.
Sie haben einmal gesagt: Statt vom Fortschritt im Singular sollte man besser von Fortschritten im Plural sprechen. Was meinen Sie damit?
Es gibt Fortschritte, die sind Verbesserungen, und es gibt Fortschritte, die sind Verschlechterungen. Manche Verbesserungen werden durch Verschlechterungen erkauft, die zu groß sind, als dass dieser Fortschritt sich lohnt. Ich bin deshalb dafür, dass man den Begriff Fortschritt konkretisiert, dass man fragt: Ist dies eine Verbesserung? Oder eine Verschlechterung? Und nicht die Leute dumm macht mit dem Zauberwort Fortschritt im Singular, bei dem man nicht mehr fragen darf: Bitte, Fortschritt wohin? Ich plädiere also für eine Rückkehr zu einer vernünftigen Beurteilung der Fortschritte im Plural und bin nicht gegen jedweden technischen Fortschritt überhaupt.
Wie erklären Sie sich, dass die Grünen Sie noch nicht zu ihrem Hausphilosophen gekürt haben? Verbindungspunkte gäbe es doch zuhauf.
Ich finde, dass die Grünen am Anfang ihrer Entstehung wichtige Probleme aufgegriffen haben, und halte es auch gar nicht für schlecht, dass es diese Bewegung heute gibt, denn sie hat den etablierten Parteien zum Teil gehörig Dampf gemacht. Allerdings vermischen die Grünen ihre Antworten auf ökologische Fragen mit einem politischen Programm, das meiner Ansicht nach nicht vernünftig ist und das teilweise die Übel, die sie bekämpfen wollen, noch vermehrt. Sie haben nämlich auf der einen Seite den verantwortungsvollen und sparsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur auf ihre Fahnen geschrieben, auf der anderen Seite aber setzen sie das Emanzipationsprogramm der letzten zweihundert Jahre ungerührt fort, ja steigern es noch, jenes Programm, durch das eben diese Zerstörungen herbeigeführt wurden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einer wie auch immer konditionierten Freigabe der Abtreibung bis zum neunten Monat steht natürlich in einem grotesken Missverhältnis zum Programm der Versöhnung mit der Natur. Hier haben wir einen Bereich vor uns, wo die Güterabwägung endet: Es ist immer unerlaubt, einen unschuldigen Menschen zu töten. Wer das legitime Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens ausspielen will, fordert im Klartext: Ich will selbst entscheiden dürfen, ob ich mein Kind töten darf oder nicht. Das aber ist ein Unding. Wenn mir plötzlich ein Baby ins Haus gelegt wird, das ich überhaupt nicht haben
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