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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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wollte, dann kann ich es ja deshalb nicht in den Mülleimer schmeißen. Das Baby ist dann nun einmal da, und ich habe die Sorgepflicht dafür.
    Bei diesem Vergleich setzen Sie voraus, dass der Mensch bereits im Augenblick seiner Zeugung Mensch ist.
    Die moderne Biologie weiß, dass es eine strikt kontinuierliche Entwicklung vom Anfang des Menschen an gibt. Jeder Schnitt, den Sie machen, ist willkürlich – nach dem ersten Monat genauso willkürlich wie nach der ersten Minute. Und wenn Sie irgendwo am Anfangden Schnitt machen, machen Sie ihn natürlich alsbald auch am Ende. Die Forderung nach Euthanasie ist ja inzwischen wieder auf dem Tisch. Die natürliche Zeugung und der natürliche Tod sind die einzigen Grenzen, alles andere ist Tyrannei.
    Nun gibt es Stimmen, die sagen: Einverstanden, unmittelbar nach der Zeugung haben wir es mit biogenetisch identifizierbarem Leben zu tun. Aber wissen wir, ob es sich dabei auch schon um menschliche Personalität handelt?
    In der Konsequenz bleibt dasselbe Problem: Wo wollen Sie plausiblerweise eine Grenze für Personalität festlegen, wenn nicht unmittelbar nach der Zeugung? Mit welchem Recht wollen Sie sagen: Ab jetzt ist es eine Person, und davor war es noch keine? Das wäre doch eine mittelalterliche Ansicht. Im Mittelalter gab es bekanntlich die Theorie der sukzessiven Beseelung . Man glaubte, dass die geistige Seele des Menschen, also seine Personalität, erst an dem magischen 40. Tag nach der Zeugung geschaffen werde. Dieser Gedanke ging zwar nicht davon aus, dass sich Personalität aus etwas Apersonalem entwickeln könne. Dennoch handelt es sich um eine These, der jede Plausibilität fehlt.
    Der menschliche Embryo ist nicht erst ein Tier oder irgendeine andere Art von Individuum, sondern seine ganze Entwicklung steht von Anfang an unter der Form des Menschseins . Wenn man ein Kriterium von Personalität ansetzen würde, das etwa auf Sprachfähigkeitoder Selbstbewusstsein beruht, könnte man sogar die Freigabe der Tötung von Säuglingen erwägen. Wenn jemand sagt: »Ich wurde in dem und dem Augenblick gezeugt oder geboren«, so meint er ja nicht, dass sein Selbstbewusstsein zu jenem Zeitpunkt begann. Vielmehr bezeichnet er ein Ich, das sich seines Ichseins damals noch gar nicht bewusst war. Es gehört zum Wesen der geschaffenen Person, dass ihr Anfang im Unvordenklichen liegt. Diese Unvordenklichkeit des personalen Anfangs können wir zeitlich nur abbilden, indem wir ihn mit dem Beginn der organischen Existenz eines menschlichen Lebens gleichsetzen – also mit dem Augenblick seiner Zeugung.
    Das Thema Lebensschutz hat Konjunktur. Zu diesem Ergebnis könnte man jedenfalls kommen, wenn man die starke Anti-Atomkraft-Lobby hierzulande betrachtet. Demgegenüber scheint die Lobby für das ungeborene Kind kleinlaut zu sein. Wie erklären Sie sich dieses schizophrene Engagement?
    Auch wenn ich denke, dass die Lobby für das ungeborene Kind in den letzten Jahren doch einen mächtigen Aufschwung erlebt hat, stimme ich Ihrer Beobachtung im Großen und Ganzen zu. Eine Antwort auf Ihre Frage scheint mir in Folgendem zu liegen: Die Abtreibung haben wir alle hinter uns. Das heißt, wir alle haben das Glück, nicht abgetrieben worden zu sein. Das kann uns also nicht mehr passieren. Die Menschen sind nun einmal so, dass sie vor allem auf solche Dinge allergisch reagieren, die ihnen selber noch zustoßen können. Umgekehrt neigt man zur Gleichgültigkeit, wenn es darum geht, ein Leben zu respektieren, das vollkommen auf uns angewiesen ist, das keine Möglichkeiten von Repressalien und Vergeltung besitzt.
    Ein Zweites kommt hinzu: unsere Abhängigkeit von der sinnlichen Wahrnehmung. Das ist ja der Grund, warum der amerikanische Gynäkologe Bernard Nathanson seine Abtreibungspraxis erst in dem Moment abgebrochen hat, wo er in einem 1984 gedrehten Film die Ultraschallaufnahme einer Abtreibung vor Augen bekam. In dem Film sieht man, wie der Embryo sich wehrt und welche Reaktionen er zeigt, bevor er getötet wird. Das war für den Gynäkologen ein solches Schockerlebnis, dass er zur Gegenpartei übergetreten ist. Und nicht umsonst wehren sich die Befürworter der Abtreibung mit Händen und Füßen dagegen, dass dieser Streifen gezeigt wird. Es ist ja unglaublich, wie man auch hierzulande versucht, der Öffentlichkeit diesen Film von Nathanson vorzuenthalten. Die Menschen sollen nicht sehen, was sie tun, weil sie es dann leichter tun können.
    Ein Beleg für Ihre These ist vielleicht auch

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