Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
labilem Mauerwerk. Generell gelten die größeren Bauten in Deutschland als robuster. Viele Hochhäuser sind gemäß den Bauvorschriften mit einem »Sicherheitszuschlag« aus Stahlbeton konstruiert. Ein starkes Beben wie jenes im Jahr 1356 könnte allerdings auch solche Stahlbauten gefährden.
Deutschland sei ungenügend auf Erdbeben vorbereitet, mahnt der Bauingenieur Lothar Stempniewski von der Universität Karlsruhe. Insbesondere vor 1981 errichtete Bauten seien anfällig. Seither fordert die DIN -Norm 4149 Sicherheitsvorkehrungen für Bauten in Erdbebengebieten. Doch viele Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sind älter als 30 Jahre. Für Industrieanlagen, Atomkraftwerke, Talsperren und Brücken gelten striktere Vorschriften. So sollen Atomkraftwerke auch Starkbeben standhalten, die nur alle 10.000 Jahre vorkommen. Das schwere Seebeben vor Japan im März 2011 jedoch hat gezeigt, dass scheinbar gut gesicherte Atomkraftwerke havarieren können – bereits die Erdstöße, nicht erst die Tsunamis beschädigten die Meiler schwer. Insbesondere ältere Industrieanlagen in Deutschland müssen überprüft werden, zumal wenn sie Chemikalien enthalten, fordert Stempniewski. Auch zahlreiche Brücken seien labil, etwa die Deutzer Brücke in Köln. Der Geologe Klaus-Günter Hinzen von der Universität Köln warnt, dass manche Baunormen nicht für Extremereignisse ausgelegt sind, was eingestürzte Hallendächer und geknickte Strommasten im vergangenen Winter gezeigt haben.
Abb. 2: Die Karte zeigt Regionen in Deutschland, in denen stärkere Erdbeben drohen (in Zone 3 sind die heftigsten zu erwarten).
Die Sorge seiner Kollegen hält Christoph Butenweg von der RWTH Aachen jedoch für übertrieben. »Die Gefahr, in Deutschland durch einen Autounfall zu sterben, ist sicher größer als durch ein Erdbeben«, meint er. Es sei kaum praktikabel, alle Bauten zu überprüfen. Zudem fordere der gesetzliche »Bestandsschutz« für Gebäude keine Renovierung – erst wenn ohnehin Änderungen am Bau vorgenommen würden, könnten vom Eigentümer erdbebensichere Verstärkungen verlangt werden. Die Richtlinie sei nebensächlich, kontert Stempniewski. Das Baugesetz verlange zuvorderst »Schutz für Leib und Leben«. Doch politische Zwänge verhinderten die strikte Anwendung dieser Maxime. »Die Bundesländer müssten viel Geld für die Prüfung und Renovierung von Gebäuden ausgeben«, darin sieht Stempniewski das Dilemma. Er befürchtet, dass es erst zur Katastrophe kommen müsse, bevor gehandelt werde.
Die Politik sieht indes durchaus Handlungsbedarf. Sie hat die DIN -Norm für erdbebensicheres Bauen überarbeiten lassen; die neue Norm berücksichtigt die Bodenbeschaffenheit. Doch das Gesetz reiche nicht aus, mahnt Stempniewski. Hausbesitzer sollten besser über die Erdbebengefahr aufgeklärt werden. »Ehrlicherweise müsste man sagen: Pass mal auf, deine Bude kann zusammenfallen.« Alle paar Tausend Jahre wackelt nämlich der Boden im Rheinland und auf der Schwäbischen Alb so heftig, dass auch die neuen Baunormen keine Stabilität garantieren. Ein Horrorszenario, dessen Auswirkungen die Forscher in ihrer Studie außer Acht lassen.
Doch nicht nur die Natur lässt die Erde beben. Was lange Zeit als Hirngespinst galt, wird im nächsten Kapitel bestätigt: Auch der Mensch kann den Untergrund ins Wanken bringen. Bohrungen und andere Projekte haben mehr als 200 starke Beben ausgelöst – mit teils katastrophalen Folgen, auch in Deutschland.
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Beben ist menschlich
Die Idee, so scheint es, taugt allenfalls für einen Science-Fiction-Krimi. Ein Bohrgestänge wird in den Boden getrieben. Von seinem unteren Ende aus läuft Wasser in den Untergrund. Auf einmal beginnt die Erde zu zittern. Erst unmerklich. Schließlich zerreißt der Boden aber mit einem lauten Knall, ein Beben erschüttert die Gegend, Gebäude wanken, Menschen fliehen aus ihren Häusern. Ursache solcher Ereignisse ist normalerweise die natürliche Bewegung der Erdplatten. Dass aber Menschen die kilometerdicke Gesteinskruste der Erde ins Wanken bringen können, erscheint unwahrscheinlich. Doch genau das ist schon oft geschehen.
So etwas hatten die Hamburger noch nicht erlebt. Am 20. Oktober 2004 um 8 Uhr 59 vibrierten im Zentrum und im Süden der Stadt plötzlich die Fußböden, Lampen schwangen hin und her, Putz bröckelte von den Wänden. Sekunden später erzitterten ganze Hochhäuser, und Menschen flohen ins Freie. In Rotenburg, auf halbem Weg zwischen Hamburg und
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