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Nach zwei Tagen Regen folgt Montag

Nach zwei Tagen Regen folgt Montag

Titel: Nach zwei Tagen Regen folgt Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Bojanowski
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Kinobetreiber in manchen Städten, die ganze Nacht im Freien Filme zu zeigen – trotz Temperaturen deutlich unter null Grad. Diese Idee sollte Zehntausenden das Leben retten, deren Häuser in ihrer Abwesenheit einstürzten.
    In der Großstadt Yingkou (das heutige Dashiqiao) verdanken unzählige Menschen ihr Leben vor allem einem Seismologen: Cao Xiangking von der Erdbebenwarte der Stadt, der seither »Mister Erdbebenbüro« genannt wird. Bereits um acht Uhr morgens hatte Cao die Regierung von Yingkou gewarnt, spätestens am Abend würde sich ein Beben ereignen. Forsch beauftragte Cao jedes Mitglied der örtlichen Kommunistischen Partei, jeweils einen Häuserblock in Yingkou räumen zu lassen. Zudem ließ er ein Evakuierungslager mit Vorräten an Winterkleidung und Nahrung einrichten. Je länger das Beben auf sich warten ließe, hatte Cao gewarnt, desto heftiger würde es. Um 19 Uhr sei mit Stärke 7, um 20 Uhr mit Stärke 8 zu rechnen. Um 19 Uhr 36 schlug das Beben schließlich zu – mit der Stärke 7,3. Obwohl in der 72.000-Einwohner-Stadt Yingkou zwei Drittel aller Gebäude einstürzten, kamen dort nur 21 Menschen ums Leben. Von Chinas Regierung wurde Caos Leistung verschwiegen, den Ruhm ernteten andere.
    In der Provinzhauptstadt Haicheng hingegen hatten – entgegen der offiziellen Darstellung – wenige Menschen ihre Häuser verlassen. Die Stadtregierung hatte erst um 18 Uhr ihre Beratungen abgeschlossen, ihr Evakuierungsaufruf kam spät. Viele Einwohner überlebten das Beben, weil sie auf Anraten der Behörden in Winterkleidung schlafen gegangen waren – so mussten sie unter den Trümmern nicht erfrieren. Zudem war das Beben nicht in der Stadt selbst, sondern in der Umgebung der Großstadt am heftigsten. Doch obwohl es in Haicheng schwächer war als in Yingkou und deutlich weniger Gebäude einstürzten, kamen in Haicheng 153 Menschen ums Leben, 44 allein in jenem Hotel, in dem die Beratung der Politiker und Wissenschaftler stattgefunden hatte. Insgesamt fielen dem Erdbeben 2041 Menschen zum Opfer, 713 mehr als offiziell bekannt gegeben.
    Chinas Regierung nutzte den vergleichsweise glimpflichen Ausgang des Bebens umgehend für Propaganda. Die gelungene Erdbebenvorhersage sei »ein großer Sieg von Präsident Maos Linie der Proletarischen Revolution«, jubelten alle Zeitungen. Ein Jahr später jedoch – am 28. Juli 1976 – starben bei einem Erdbeben in der nordchinesischen Stadt Tangshan mehrere 100.000 Menschen. Es hatte keine Warnung gegeben.
    Die Geschichte der Erdbebenwarnung von Haicheng erwies sich trotz allem im Kern als richtig. Das Beben wurde auf den Tag genau vorhergesagt, berichten Kelin Wang und Kollegen, die die Dokumente prüfen konnten. Viele Details wurden von der chinesischen Regierung jedoch falsch dargestellt. So warnte nicht wie behauptet die Provinzregierung die Bevölkerung, sondern Wissenschaftler. Die Stärke des Bebens wurde allerdings auch von den meisten Seismologen unterschätzt. Die Messungen von Amateuren spielten bei dem Alarm entgegen der Propaganda keine Rolle.
    Die treffsichere Warnung zeige, dass manche Erdbeben doch vorhersagbar seien, resümieren Wang und Kollegen. Doch kaum ein Beben kündigt sich so deutlich an wie jenes von Haicheng. Der Alarm stützte sich im Wesentlichen auf die stetig häufiger und stärker werdenden Beben. Den meisten Starkbeben geht jedoch kein entsprechender Trommelwirbel voraus. Die anderen Warnsignale sind noch unzuverlässiger, wie im vorhergegangenen Kapitel beschrieben.
    »Wir haben nicht wirklich geglaubt, das Beben auf den Tag genau vorhersagen zu können – lediglich innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen«, räumt Zhu Fengming inzwischen ein. Doch auch eine auf wenige Wochen genaue Erdbebenprognose sollte nie wieder gelingen. Eindeutige Warnsignale sind nach wie vor der »Heilige Gral der Seismologie«. Zwei Methoden der chinesischen Forscher gehören gleichwohl immer noch zu den hoffnungsvollsten Ansätzen: die Messung von Vorbeben und von Verformungen des Bodens.
    Deutschland blieb lange von starken Erdstößen verschont, hierzulande ruckelt der Boden weitaus seltener als an den Grenzen der großen Erdplatten. Trotzdem könnten Beben auch in Deutschland eine Katastrophe auslösen – wie das nächste Kapitel zeigt.

22 Rums am Rhein
    Erdbebenkatastrophen kennen die meisten Deutschen nur aus dem Fernsehen. Doch nicht nur Hochrisikogebiete wie Japan, Haiti oder China kann es treffen. Auch Deutschland wird im Abstand von einigen

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