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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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wollte, kann ich ebensogut – oder besser – mir selbst stellen. Der Umweg war überflüssig.
    Übrigens verlieren alle Fragen mit der Zeit ihre Schärfe, und an die Stelle des Ich kann – diesen Ausweg läßt die Sprache – fast immer das Wir treten, niemals mit mehr Recht als für jene Zeit. So daß einem nicht zugemutet werden muß, die Schulden einer fremden Person zuübernehmen, oder doch nur unter gewissen Umständen.
    Selbstverständlich glaubte ich, weiter mit ihr befreundet zu sein. Mit meinem Wiedererscheinen hat sie, wie ich heute weiß, keine besonderen Hoffnungen verknüpft. Erst später hat sie begonnen, mit mir zu rechnen, auch nur für gewisse Zeiträume, dazwischen konnte sie sich wieder abtreiben lassen. Ich habe Briefe gefunden, in denen ich ihr das vorhalte: Zum letzten Mal, drohe ich, immer wieder zum letzten Mal. Dann ein matter Entschuldigungsbrief von ihr: Wenn ich nun endlich mich dazu aufraffe ...
    Die Wahrheit ist: Wir hatten anderes zu tun. Wir nämlich waren vollauf damit beschäftigt, uns unantastbar zu machen, wenn einer noch nachfühlen kann, was das heißt. Nicht nur nichts Fremdes in uns aufnehmen – und was alles erklärten wir für fremd! –, auch im eigenen Innern nichts Fremdes aufkommen lassen, und wenn es schon aufkam – ein Zweifel, ein Verdacht, Beobachtungen, Fragen –, dann doch nichts davon anmerken zu lassen. Weniger aus Angst, obwohl viele auch ängstlich waren, als aus Unsicherheit. Eine Unsicherheit, die schwerer vergeht als irgend etwas anderes, was ich kenne.
    Außer der Sicherheit, deren Kehrseite sie ist. Wie soll man es nur erklären? So ist es.
    Denn die neue Welt, die wir unantastbar machen wollten, und sei es dadurch, daß wir uns wie irgendeinen Ziegelstein in ihr Fundament einmauerten – sie gab es wirklich. Es gibt sie, und nicht nur in unseren Köpfen, und damals fing sie für uns an. Was aber immer mit ihr geschah oder geschehen wird, es ist und bleibtunsere Sache. Unter den Tauschangeboten ist keines, nach dem auch nur den Kopf zu drehen sich lohnen würde ...
    Sie hat, jetzt spreche ich von Christa T., nichts inniger herbeigewünscht als unsere Welt, und sie hat genau die Art Phantasie gehabt, die man braucht, sie wirklich zu erfassen – denn was man auch sagen mag, mir graut vor der neuen Welt der Phantasielosen. Der Tatsachenmenschen. Der Hopp-Hopp-Menschen, so hat sie sie genannt. Und sich ihnen, in ihren finsteren Stunden, tief unterlegen gefühlt. Auch wohl versucht, sich ihnen anzugleichen, einen Beruf angestrebt, der sie in die Öffentlichkeit geführt hätte: Sie hatte sich mit diesem Ziel selbst überrascht und überlistet. Und zur Raison gezwungen. Ihrem Hang zum Schauen, Träumen, Geschehenlassen eine Grenze gesetzt. Die schmerzhaft empfundene Schranke zwischen Denken und Tun beiseite geräumt. Alle Bedingungen gestrichen. Wir müssen schon einiges dazu tun, um alle lebenswert zu leben. Man muß bereit sein, eine gewisse Verantwortung zu übernehmen. Allerdings – das setzt sie sofort hinzu – muß man sie glatt überschauen können und sie voll ausfüllen und darin nicht lasch sein ...
    Sie hat an unseren Gesprächen teilgenommen, jenen herrlichen ausschweifenden nächtlichen Gesprächen über die Beschaffenheit des Paradieses, an dessen Schwelle wir, meistens hungrig und Holzschuhe an den Füßen, mit großer Gewißheit standen. Die Idee der Vollkommenheit hatte uns erfaßt, aus unseren Büchern und Broschüren war sie in uns eingedrungen, und von den Podien der Versammlungen kam die Ungeduld dazu: Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir imParadiese sein! Oh, wir hatten das Vorgefühl davon, es war unleugbar und unersetzbar, wir vergewisserten uns seiner, indem wir stritten: Würde es mit Atomstrom beheizt sein, unser Paradies? Oder mit Gas? Und würde es zwei Vorstufen haben oder mehr, und woran würden wir es, wenn es endlich einträte, erkennen? Wer aber, wer würde würdig sein, es zu bewohnen? Die Allerreinsten nur, das schien doch festzustehen. Also unterwarfen wir uns erneut den Exerzitien, lächeln heute, wenn wir uns gegenseitig daran erinnern. Werden noch einmal, für Minuten, einander ähnlich, wie wir es damals durch diesen Glauben jahrelang waren. Können uns heute noch an einem Wort, einer Losung erkennen. Blinzeln uns zu. Das Paradies kann sich rar machen, das ist so seine Art. Soll den Mund verziehen, wer will: Einmal im Leben, zur rechten Zeit, sollte man an Unmögliches geglaubt haben.

6
    Was

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