Nachdenken ueber Christa T.
ein Fragezeichen: So früh?
Nun schließt sie ihr Heft endgültig.
Ick glöw doar nich an. Aber merkwürdig ist es doch. Ende der Szene.
Diese Seiten hat sie nie wieder gelesen, und mit der Zeit glich die Schrift, die in ihrem Innern stehenblieb, immer weniger der in dem Heft. Der angekündigte Tombolagewinn blieb aus, ebenso wie der Kuraufenthalt im nächsten Jahr, auch das Begräbnis der älteren Tante ließ auf sich warten. Sie nimmt nicht Notiz davon. Aber ein frühes Ende ist ihr vorausgesagt, das bleibt. Das einzige,was er sich gehütet hat zu sagen, wird sie für immer behalten: Ich soll früh sterben.
Und wird daran glauben müssen.
Kein Sterbenswort mehr vom General.
10
Rückfall, hätten wir gesagt und die Köpfe geschüttelt, hätten auch recht gehabt. Diesem und jenem mag sie ja, probeweise, ihre Geschichte erzählt haben, ganz im stillen. Da hat sie auf allen Gesichtern, ausnahmslos, dieses ungläubig-mitleidige Lächeln aufkommen sehen. Dafür verbürge ich mich, weil ich seinen Abdruck auf meinem eigenen Gesicht noch fühlen kann.
So schwieg sie denn.
Wird ja nichts Wichtiges sein, was man zu erzählen hat.
Dann kann man es also ebensogut aufschreiben. Diesen unheilbaren Hang zum Aufschreiben entschärfen, indem man ihm einfach nachgibt, ohne ihn ernst zu nehmen. Wenn der Trick gelingt, ist man, fürs erste, gerettet. Was fällt mir denn ein, wenn ich die Augen zumache? Nichts Wichtiges, wie gesagt, das sieht man schon daran, daß es von selbst kommt, daß kein Zwang dabei ist, keine Deutung, allerdings auch keine Bedeutung. Eine Seite ist schnell aus einem Heft herausgerissen, den Arbeitsplan wird man wieder nicht einhalten, in der Grammatik nicht vorrücken. Schnell ein paar mögliche Überschriften ausprobiert, wie es kommt, wie es, das zeigt sich jetzt, im Kopf schon fertig ist, kleine Geschichten, später einmal. Wann, wenn nicht jetzt?
»Titelliste« steht über der Heftseite, in Anführungsstrichen, genau, wie ich es wiedergebe. Und wenn man den ironischen Abstand wenigstens in die Anführungszeichen legt. Da sind im Lauf der Zeit mehr als zwei Dutzend Titel untereinandergeschrieben worden, manche habe ich mir von anderen Zetteln zusammengesucht. Einige versteh ich, andere nicht. Nicht alle Kritzeleien kann ich lesen, sie selbst hätte es unmöglich gekonnt. Hätte sie es überhaupt gewollt?
Die Frage ist untergeschlüpft, sie steht nicht im Konzept. Zu früh gestellt? Die heikelste Frage übrigens, die mir beim Nachdenken über Christa T. gekommen ist. Denn wenn man mich danach fragen wird – und man wird danach fragen, wie denn nicht! –, ich werde nichts vorzuweisen haben: Warum, wird man fragen, stellst du sie vor uns hin? Denn das tu ich, es wird nicht bestritten.
Man wird mich nach ihrem Erfolg fragen.
Wird mich also zwingen, über Erfolg zu reden, doch wohin gerat ich da? Worauf beruf ich mich denn?
Günter fällt mir ein, der sommersprossige Günter, vor seinem großen Auftritt, ehe die Liebe ihn zu Fall gebracht und das Leid – nun ja: Leid – ihn hellsichtig gemacht hatte. Er hat Christa T. immer verteidigt und ist immer zornig auf sie gewesen. Als einzelnes Wesen mag er sie damals schon verehrt haben, manches deutet darauf hin, aber mit ihr als Gattung konnte er sich nicht abfinden. Er glaubte zu fest daran, daß alles Bestehende nützlich zu sein habe, und es quälte ihn die Frage, wozu eine Erfindung von ihrer Art nötig gewesen war, »bei allen guten Ansätzen«, die er ihr ja zugestand. Sieh mal, sagte er, als der Termin für eine Jahresarbeit zum erstenmalüberschritten war und aus ihrer Gruppe noch niemand eine einzige beschriebene Seite von ihr gesehen hatte – sieh mal, die Gesellschaft hat dich studieren lassen. Nun will sie eine Gegenleistung von dir sehen, das ist recht und billig, oder nicht? – Ja, sagte Christa T., die sich immer lange mit Günter unterhielt, alle seine Beweise anhörte und gründlich prüfte: Recht ist es. Aber nicht billig, weißt du. Ich würde sogar sagen: teuer. – Wie meinst du das? fragte Günter, du machst dich lustig.
Jedoch lustig machte sie sich gerade nicht. Sie fühlte nur einen mächtigen Widerstand in sich, wenn sie einen Preis zahlen sollte in fremder Währung. Daß aber ihre eigene Währung etwas galt, konnte sie nicht glauben, und es ist ja wahr – woher hätte sie den Glauben nehmen sollen?
Worauf berufe ich mich also? Darauf, daß die Zeit für sie gearbeitet hätte. Zeit aber war das einzige, was sie nicht
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