Nachdenken ueber Christa T.
hatte. Ist ihr dies nicht frühzeitig mitgeteilt worden?
Als ich soweit war, bin ich in Zorn geraten. Ich habe die Titelliste noch einmal gelesen. Beim Waldhüter. Sommerabend. Rick Broders. Jan und Christine. Tag am Meer. Auf den Eldewiesen . – Was soll das alles heißen? Ich kann mich anstrengen, wie ich will, ich werde nicht herauskriegen, was hinter diesen Überschriften steckt. Ich gab meinen Zorn, der komplizierter Natur ist, als den gesunden Zorn des um seine Geschichten betrogenen Lesers aus. Und wenn ich der einzige Mensch sein sollte, der gerne wissen möchte, was das heißen soll: Oberleutnant Baer war anders – hätte sie nicht dann wenigstens auf mich Rücksicht nehmen können?Vielleicht lohnt es sich nicht, sich um den Zorn eines einzelnen zu kümmern, aber ich dachte, ungerecht, wie man ist: Um meinen hätte sie sich kümmern müssen. Oder die Zettel zerreißen, bitte schön. Womit wird sie sich rechtfertigen wollen? Sie, da unten, sie, begraben, sie, zu deren Haupt – so redet man doch von den Toten – Sanddornsträucher wachsen.
Von den Toten nichts als Gutes.
Ich ließ alles liegen und ging weg. Ich sagte mir: Das mache ich nicht, das kann man nicht von mir verlangen. Wie froh war ich, meinen schönen Zorn zu haben. Ich stand vor einer Plakatsäule, ich las die Anschläge ein dutzendmal. Ich merkte, daß ich doch dem Gedanken nicht entging, der meinen Zorn auslöschen würde. Ich dachte: Sie hätte das alles ja noch gemacht.
So mußte ich meinen Zorn leider aufgeben. Man darf den Toten nicht böse sein. Aber ich war verletzt, und das bin ich bis heute. Es stimmt nicht, was sie sagen – daß nur Lebende einen verletzen können. Wenn es aber stimmt – was würde das bedeuten?
Ich habe ja von Erfolg sprechen wollen. Der hat aber, immer, wenn er eintritt, eine Geschichte, genau wie der Mißerfolg, aber von dem handeln wir nicht. Er kann, der Erfolg, echt sein oder gemacht, verdient oder erschlichen, erzwungen oder gewachsen ... Vor allem aber kann er in diesem und jenem bestehen: im Ruhm zum Beispiel oder in der späten Gewißheit, daß man dieses und nichts anderes machen muß.
So hätte ich also, unter anderem, die Geschichte des Erfolgs der Christa T. zu erzählen. Der Gedanke überrascht mich selbst.
Von meinem Zorn ist ein Rest von Bitterkeit geblieben,der auch vergehen wird, bald. Dann werde ich sie vielleicht sehen: so, wie sie sein wollte und also war. Aber wie ich diesen Bericht auch in die Länge ziehen mag, mir scheint ausgemacht, daß der Augenblick, sie zu sehen, nach seinem Ende eintreten wird.
Dann aber frei und großmütig, als käme er von selbst. Sie aber, Christa T., hat in jenem Sommer eine große Entdeckung gemacht, nicht, ohne es gewahr zu werden, doch ohne zu wissen, daß sie groß war. Sie hat auf einmal etwas wie eine Spur gesehen zwischen sich – diesem Leben, das ihr doch durchschnittlich und oft sogar eng vorkam – und diesen freien, großmütigen Augenblicken. Sie hat zu ahnen begonnen, daß man sie selbst erzeugen muß und daß sie das Mittel dazu hatte. Da Sehnsucht von »sehen« kommt: die Sucht, zu sehen, hat sie zu sehen angefangen und gefunden, daß ihre Sehnsucht, wenn sie nur ruhig und gründlich genug hinsah, mit den wirklichen Dingen auf einfache, aber unleugbare Art übereinstimmte.
Ich weiß nicht, wen sie sich vorstellte, aber irgendeinem Gegenüber scheint sie doch erzählt zu haben: Malina, die Himbeere
Mit dreizehn Jahren durfte ich zum ersten Male auf eine größere Reise mit. Schon ein Jahr lang waren die Briefe von Onkel Wilhelm gekommen, das heißt eine der drei mit Schreibmaschine getippten Abschriften, die an die Verwandtschaft gingen. Onkel Wilhelm, noch vor kurzem Inspektor in den brandenburgischen Haftanstalten, hatte die Chance genützt, die der Führer den unteren und mittleren Beamten bot: eine Karriere zu machen, die über ihre seit vielen Jahren feststehenden Möglichkeiten hinausging. Der Osten rief nach tüchtigenVerwaltungsbeamten, und Inspektor Krause kam und wurde erstmal Oberinspektor mit Amtmannsgehalt auf einer Regierungsstelle.
Dies alles in Kalisch/Warthegau, Litzmannstädter Straße 2, im Jahre 1940.
Schon zwei Wochen vorher saß ich im Garten unter der Sommerlinde, stopfte und nähte an meinen Höschen und Söckchen. Ich freute mich sehr auf die Reise und war überzeugt davon, daß man für mehrere Wochen unbedingt alles mitnehmen mußte, was man besaß.
Von der Fahrt selbst habe ich kaum noch Eindrücke.
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