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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Welt, mein Fräulein, will betrogen sein. Sie aber ... Wenn man so ausgeprägte Handlinien sein eigen nennt ... Du kannst gehen, sagt er kalt zu seiner Frau.
    Ihr Vater, mein Fräulein, ist in einem Intelligenzberuf tätig, wenn mich nicht alles täuscht? Ein guter Vater. Klug, geschickt auch in handwerklichen Fertigkeiten. Sollte er noch leben? Richtig. Wenn auch, was Sie sich gewiß vor Augen halten, dem menschlichen Leben eine Grenze gesetzt ist ... Zwei Geschwister, wie ich sehe. Die Schwester nur? Sehr geliebt, ja, das ist nur zu deutlich. Was das zweite betrifft – ich bitte, sich gegenwärtig zu halten, daß nicht nur die am Leben gebliebenen, nicht nur die geborenen Geschwister in der Welt, auf die ich mich beziehen muß, existieren.
    Da denkt sie schon: die Fehlgeburt. Die Eltern haben es vor uns verheimlichen wollen, damals, ich hab’s immer geahnt.
    Der General ist zufrieden.
    Wissen Sie übrigens, mein Fräulein, daß der Mondrhythmus für Sie bedeutsam ist? Daß gerade von ihm Ihr Zug zur Süd-Ost-Linie sich herleitet? Nun, sie muß noch nicht so deutlich hervorgetreten sein in Ihrem jungen Leben. Später, wenn Sie sich in einer Stadt wie – nun, sagen wir: Dresden niederlassen, werden Sie, vermute ich, an mich denken ...
    Von den Sternen ... Ja: Venus und Saturn stehen sehr nahe. Venus, die Liebe, auch Zärtlichkeit, ist immer da. Übrigens seien Sie getrost: Einen weiten Sternenkreissehe ich um Sie versammelt. Vieles, Mannigfaltiges verbirgt und offenbart sich darin, reiche Anlagen, die vielseitigsten Interessen ...
    Hier zeigt er Einblicke aus Seelenverwandtschaft: Wer wüßte nicht, daß auch Reichtum zuzeiten – lästig werden kann?
    Natürlich, möchte ich hier einflechten, denn es hat mir keine Ruhe gelassen, natürlich hat sie den General dennoch erfunden, am nächsten Tag nach ihrer SØance bei ihm, allein in ihrem Zimmer, den Blick auf die siebzehn Pappeln, das Tagebuch vor sich auf dem Tisch: Erfand ihn mit der besten Absicht, genau zu sein, objektiv zu sein, des Generals Rede mit seinen Worten niederzuschreiben, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, auch wenn sie sich geniert: Könnte man noch gerechter sein? So ist sie gerecht, wie jedermann es ist: Holt heraus, was das Zeug hält und was aus ihrem Zeug ist, das andere aber, abstrus, falsch, mein Gott, ja: dumm bis zur Albernheit, wird gerade noch erwähnt.
    Ich nehme mir heraus, sie zu korrigieren, und erfinde mir meinen General selbst. Bin gerecht, wie jedermann es ist. Was sonst?
    Ein Examen steht bevor, sagt ihr General. Besonders glänzend werden Sie nicht abschneiden, da sage ich Ihnen ja nichts Neues. Mittelmäßig, könnte man sagen, wenn man nicht wüßte, daß Ihr Intelligenz- und Gedächtniskreis, augenblicklich noch begrenzt, sich ausdehnen wird. Sie wissen wohl, daß die Frau ihre Leistungshöhe Ende der zwanziger Jahre hat? Bei Ihnen, mein Fräulein, könnte sie eher später liegen.
    Seien Sie vorsichtig, sagt ihr General. Das nächste halbeJahr wird nicht ganz einfach für Sie. Ihre Nerven sind angegriffen. Mehrere Krankheiten kündigen sich an. Was Sie gerade jetzt durchmachen, möchte ich eine vorübergehende Lebensschwäche nennen.
    Hier blickt mein General schnell in ihr Gesicht, vergewissert sich, läßt sie nun endlich die Zügel schießen, oder was? Da sieht er, daß er weitergehen kann.
    Seelische Schwierigkeiten, sagt ihr General, werden immer anwachsen, wenn Sie sich vor Entscheidungen gestellt sehen.
    Christa T., ach, Krischan, da sitzt sie und fühlt sich denken: Er hat recht. Und das Licht, in das er sie gesetzt hat, verbirgt ihm auch diesen Gedanken nicht, er lehnt sich bequemer zurück, hält ihre Hand weniger fest, erlaubt sich endlich, eine Leere mit dem Hokuspokus auszufüllen, den er bei der Hand hat.
    In nicht allzu ferner Zeit, sagt ihr General, werden Sie zu einem Begräbnis gerufen werden. Scheint eine Tante zu sein zwischen sechzig und siebzig, die stirbt.
    Da sieht er: Schon entgleitet ihm diese Dame. Es hilft nichts, er muß sich anstrengen, mein General.
    Sie grübeln zuviel, sagt ihr General, und nun legt er sogar eine gewisse Dringlichkeit in seinen Ton. Wenn ich Ihnen raten dürfte: Entschlagen Sie sich dieser entnervenden Angewohnheit. Glauben Sie mir: In drei, vier Jahren – ich irre doch nicht, daß ich eine Vierundzwanzigjährige vor mir habe? Sehen Sie! –, also mit sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, da sieht für Sie alles anders aus. Ihr Sternbild zeigt mir deutlich: Sie werden

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