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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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sie. Ob nun der jeweilige Professor »sehr gut« darunter schrieb, wie in diesem Fall, oder ob er sie gerade so durchgehen ließ, der Staub macht sie schnell gleich. Und jeder hat – denn das ist die Regel – ganz an das Ende seiner Bemühungen einen Satz gesetzt: Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig angefertigt und keine anderen Hilfsmittel als die angegebenen benutzt habe. Christa T. Am 22. Mai 1954. Da hat sie noch acht Jahre und neun Monate. Die Uhr ist aufgezogen, keine Sorge, sie läuft ab. Von jetzt an wird ihr Ticken uns begleiten. Sie hat ihre Arbeit keinem von uns gezeigt, wir haben sie auch nicht danach gefragt. Wahrscheinlich hat es sie Überwindung gekostet, sie im Sekretariat des Instituts abzugeben – stark verspätet übrigens. Günter hat sie zuletzt jeden Tag ermahnt. Die sehr gute Note hat Christa T. gleichgültig zur Kenntnis genommen, später wird sie nie wieder angesehen haben, was sie da geschrieben hat. Unter ihren Papieren fand sich diese Arbeit nicht.
    So lese ich sie zum ersten Mal, gefaßt auf den überlegenen Tonfall, die vorgeformten, klappernden Sätze, mit denen wir unsere Themen damals mehr attackierten als ergriffen. Auf mitgehendes Verständnis, auf Bekenntnisse war ich nicht gefaßt, noch weniger auf Selbstprüfung und fast unverhüllte Selbstdarstellung, auf den Einbruch persönlicher Problematik in die leidenschaftslose Untersuchung.
    Daß die richtigen Fragen zur rechten Zeit sich einstellen, darauf kommt viel an, und sie, Christa T., hat Glück gehabt, die Frage ist fertig: wie man denn – und ob überhaupt und unter welchen Umständen – in der Kunst sich selbst verwirklichen könne.
    So kommt es, daß ich sie sprechen höre, während ich lese. Sie redet von den geistigen Abenteuern ihres Dichters, und es scheint sie nicht zu stören, daß zwischen ihm und einer anderen Person, die ungenannt bleibt, aber anwesend ist, sich eine Verwandtschaft herstellt. Warum gerade dieser Storm? Sie sagt: Weil sein Weltverhältnis »vorwiegend lyrisch« ist und weil eine solche Natur, in eine von Niedergangstendenzen und Epigonentum gezeichnete Zeit gestellt, besondere Anstrengungen nötig hat, um dennoch ihr Werk hervorzubringen. Diese Anstrengungen sind es also. Nicht, daß sie das Werk überschätzte, aber sie schätzt, daß es dennoch zustande kam. Nicht, daß sie den Idylliker verteidigte, die Provinz, die er besetzt hält, zu einem großen poetischen Reich umzudeuten suchte. Aber er hat, was er immerhin besitzt, wirklich erobert, und unter welchen Bedingungen!
    Ich sehe ihn gehen, ihren Dichter, wie ich sie über ihn reden höre. Manches läßt sie ihm durchgehen, die Empfindlichkeit der Nerven zum Beispiel, da sie der Unmittelbarkeit der Eindrücke keinen Abbruch tut; manches an ihm bekennt sie zu lieben: das ungebrochene Künstlertum, das sich als volles Menschentum auffaßt . Manches kreidet sie ihm an: die Rettung der Poesie vor der drohenden Zerstörung der menschlichen Persönlichkeit an den Rand des Geschehens . Sie kann niemanden täuschen, der zu lesen versteht, vielleicht hat sie dieses eine Mal auch nicht täuschen wollen über die Unruhe, die hinter den strengen und gerechten Urteilen steht. Kein Ich kommt auf, natürlich nicht. Jetzt noch nicht. Ein »Wir«, ein »Man«: Das Grauen eines ungebrochenen Menschen mit leidenschaftlicher Lebensliebe vordem Sterbenmüssen, dem drohenden Nichts, weht einem immer wieder Schauer aus seinen Gedichten entgegen ...
    Sie, die Schreiberin – daß ich nur schreibend über die Dinge komme! –, weiß sich selbst von einem Hang zum Peripheren, zum kleinen Naturstück, zum abgrenzbaren Fall, zur durchschaubaren, einfachen Figur versucht und bedroht. Dem Häßlichen ausweichen – ach, sie versteht nur zu gut. In Resignation noch Tapferkeit, Lebensmut in sich erzeugen und auf den Leser zu übertragen suchen ... Dahin folgt »man« ihm ja. Läßt sich auch gerne hineinziehen in die begrenzte Welt seiner Gestalten, liebenswert, reich an Gefühlen , vermerkt aber doch schon, wie sie als Persönlichkeiten eingeschränkt werden durch die hartnäckige Einkreisung in die Themen Liebe, Familie: Bei so spärlichen menschlichen Beziehungen sinkt die Flamme bald in sich zusammen ...
    Davon hat »man« Distanz zu gewinnen, hat sich abzustoßen, allen Mut zusammenzuraffen, und wenn er sich gegen einen selbst richtet: Es ist wahr: Die Konflikte ergreifen den ganzen Menschen, zwingen ihn in die Knie und vernichten sein Selbstgefühl. Aber

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