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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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für verrückt.
    Was ist? fragte ich. Warum regst du dich auf?
    Christa T. wollte nicht, daß ihre Klasse log. Sie sprach mit den Schülern, einen, den sie Hammurabi nannten, nahm sie sich besonders vor.
    Sie schildern, sagte sie, in glühenden Farben, was Sie als Mitglied des Jugendverbandes für die Gesellschaft tun können. Aber Sie sind, soviel ich weiß, überhaupt nicht Mitglied.
    Hammurabi behielt undurchsichtige Augen.
    Ich bin’s nicht, sagte er trocken. Aber ich könnt’s ja sein, nicht?
    Fast wortlos belehrten die Schüler sie über gewisse Spielregeln des praktischen Lebens. Das Mädchen in der letzten Reihe unterbrach sogar ihre Schönheitspflege, um der Lehrerin mitzuteilen, daß niemand sie zwingen könne, durch Dummheit die Zensur zu versauen.Und eine Vier, falls die Lehrerin es wirklich wagen sollte – die würde sie sich gewiß nicht gefallen lassen. Übrigens ließ die Klasse keinen Zweifel – und das war schlimmer als alles –, daß sie den Zorn der Lehrerin zwar verstand, aber als Zorn einer Unerfahrenen nahm, ein Gefühl, das längst hinter ihnen lag.
    Der Direktor war ein alter Mann, er lebt nicht mehr. Als er Christa T. angehört hatte, ließ er seine Sekretärin Kaffee kochen. Sie haben etwas Zeit, nicht wahr?
    Über die Aufsätze hat er, wenn ich mich richtig erinnere, gar nicht geredet.
    Dieser Mann, von dem sie mir erzählt hat – aber ich kenne ihn nicht –, muß hier erfunden werden. Von sich sprach er nicht, oder nur von sich, wie man will. Denn er macht keinen Unterschied zwischen sich und der Zeit. Er ist ein Überlebender aus dem kleinen Häuflein, und seine Tage sind gezählt, das alles weiß er auch. Übrigens ist er Historiker, überzeugter Materialist, gebildet, nicht zuletzt durch die Zuchthausjahre, das sagt er lächelnd, und ein leidenschaftlicher Lehrer. Ich möchte nichts anderes sein.
    Das Mädchen vor ihm – anders kann er sie ja nicht sehen – ist aufgeregt. Für ihn ist die Szene nicht neu, wie viele haben schon so vor ihm gesessen, er weiß schon, wie es ablaufen wird, er kennt diesen Typ von Mensch. Er denkt sogar, oder fühlt, den Bruchteil einer Sekunde, daß er zu viele solcher Szenen schon hatte, daß er zu oft weiß, wie etwas ablaufen wird – und immer recht behält –, daß ihm immer seltener etwas wirklich neu ist. Nun ist ihm auch klar, was dieses Gefühl bedeutet. Überdruß ist es gewiß nicht, etwas wie Weisheit, er lächelt. Weisheit, das wäre das Ende vom Lied.
    Worüber können sie eigentlich geredet haben, gerade diese beiden, gerade zu jener Zeit? Rede und Gegenrede kommen leicht ins Stocken, wenn der eine zuwenig weiß und der andere zuviel – wenn nicht wußte, doch ahnte. Sich aber oft gefragt hat, ob er nicht in der Haut dieser Jungen sein möchte, glatte Stirn, helle Aufregung um – ach mein Gott, um ein Nichts. Über die Aufsätze verlieren wir besser kein Wort. Das bißchen Hintergrunddenken lernen, das einem das Leben doch immer wieder möglich gemacht hat, das Lachen sogar – sollte das so schwer sein für die? – Die Antwort gibt er sich selbst: So schwer wie für uns.
    Da hören aber die Gleichheiten schon auf. Ja, er ist ein bißchen hochmütig, das muß er sein. Sein Schicksal wird sich nicht wiederholen, an diesen Jungen nicht, ob sie sich das nun verdient haben oder nicht. Nie werden sie uns ganz begreifen, das ist eine Tatsache. Eine Tatsache, die auch einsam macht. Was wissen denn die?
    Was weiß denn ich? denkt Christa T. Natürlich findet er mich komisch. Vielleicht hat er recht. Was er gemacht hat, werden wir nie machen.
    Übereinstimmung wird es nicht geben, denkt der Mann, und er weiß, sie ist nicht immer zu erreichen. Also ist er überlegen. Übrigens sieht er das Mädchen nicht ohne Vorurteil an, genau wie sie ihn: Ein jeder hat ein Bild vom anderen, und ein jeder weiß, der andere hat dieses Bild von mir. Ich kann versuchen, es zu verändern, oder ich kann mich ihm anpassen. Wie schwer ein Bild zu verändern ist, das weiß wieder nur der Mann. Er verzichtet darauf, immer häufiger. Sie wird es auch lernen. Etwas wie Mitleid, vermischt mit Neid. Einst hat aucher zu den leicht erregbaren Gemütern gehört. Davon hat er nur behalten: Die Schlechtesten sind es nicht. Und: Man muß sie dämpfen. Das ist vor langer Zeit ein für allemal durchdacht, an Beispielen, die ihm entfallen sind, aber die Lehre ist geblieben. So teuer wie wir werden die sich ihre Lehren nicht einkaufen, das ist eine flüchtige Empfindung. Der

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