Nachdenken ueber Christa T.
versucht gewesen war, ihr nachzuforschen – das alles sagt er nicht.
Also wann? sagt er dafür.
So muß etwas anfangen, was dauern soll.
Aber versprechen, sagt sie sich, als sie aus der Telefonzelle tritt, versprechen kann ich natürlich nichts.
Während ich dies niederschreibe, mit bestem Gewissen – denn jeder Satz ist doppelt bezeugt und hält der Nachprüfung stand –, während ich in dem rotbraunen Berliner Büchlein weiter blättere und auf die Zeile stoße: »Justus, lieber geliebter Justus!«; während ich mir Mühe gebe, das Zimmer zu erschaffen, in dem sie sich nun zum erstenmal begegnen können: während all dem gewinnt ein altes Mißtrauen wieder in mir die Oberhand, das ich unterworfen glaubte, und wenn überhaupt, dann am wenigsten jetzt zurückerwartet hätte. Wäre es nicht möglich, das Netz, das für sie geknüpft und ausgelegt wurde, erwiese sich am Ende als untauglich, sie zu fangen? Sätze, die sie geschrieben hat – ja. Auch Wege, die sie gegangen ist, ein Zimmer, in dem sie gelebt hat, eine Landschaft, die ihr nahe war, ein Haus, ein Gefühl sogar – nur nicht sie. Denn sie ist schwer zu fangen. Selbst wenn ich es schaffen könnte, alles getreulich wiederzugeben, was ich von ihr noch weiß oder in Erfahrung gebracht habe, selbst dann wäre denkbar, daß derjenige, dem ich alles erzähle, den ich brauche und jetzt um Beistand angehe, daß er am Ende nichts von ihr wüßte.
So gut wie nichts.
Wenn es mir nicht gelingt, das Wichtigste über sie zu sagen: Sie, Christa T., hat eine Vision von sich selbst gehabt. Das kann ich nicht beweisen, wie ich beweisen könnte: Zu jener Zeit hat sie da und da gewohnt, und in der Staatsbibliothek hat sie die und die Bücher ausgeliehen. Aber die Bücher sind gleichgültig, ich habe mirihre Lesekarte nicht heraussuchen lassen, zur Not würde ich einfach ein paar Titel erfinden. Die Visionen der Leute erfindet man nicht, man findet sie, zuweilen. Von ihrer habe ich seit langem gewußt. Seit jenem Augenblick vor zwölf Jahren, da ich sie Trompete blasen sah. Denn wir schreiben inzwischen das Jahr fünfundfünfzig.
Justus sehen wir lange nicht, das sagte ich schon, er wurde uns vorenthalten. Ein bißchen wunderten wir uns ja auch. Eine Tierarztfrau im Mecklenburgischen – das sollte es nun also sein? Denn unwillkürlich greift man doch immer wieder zu Festlegungen. Bis zu dem Kostümfest, da kam sie als Sophie La Roche, hatte sich aber überhaupt nicht kostümiert, trug nur ihr fremdartig gemustertes goldbraunes Kleid und teilte jedem mit, wen sie darstellte. Justus, an ihrer Seite, so wenig verkleidet wie sie, spielte den Lord Seymour, jedenfalls behauptete sie es. Niemand wußte, ob diese Idee besonders exaltiert oder einfach boshaft war, aber jedenfalls konnten wir Justus endlich mustern, und dabei stellte sich heraus, daß wir die Festlegungen ruhig fallenlassen konnten.
Es war wohl, was man eine Party nennen mußte, eine der ersten, wir waren noch recht unsicher im Party-Feiern, aber wenn man unsere Gastgeber ansah, kriegte man das Gefühl, es mußte sein. Vorurteilsfrei solle es zugehen, sagten sie jedem zur Begrüßung, und Christa T. nickte ganz vernünftig, sah sich in den zwei großen, spärlich beleuchteten Räumen um, pflückte ein paar Papierschlangen vom Gummibaum und legte sie sich um die Schulter, kippte Justus ein Tütchen bunten Konfettis auf den Kopf und sagte: Hier sind wir richtig!
Das Gefühl hatte ich nun gerade nicht. Mir war, als habe sie sich für diesen Abend etwas Bestimmtes vorgenommen, das sich nicht recht in dieser herausfordernd und zugleich gehemmt kostümierten Gesellschaft unterbringen ließ. Sie schien einen Plan zu verfolgen, der sich gegen niemand als gegen Justus – oder auch an ihn richtete; ich wurde schwankend. Ich spürte sogar Lust, ihm einen Wink zu geben, seine Partei zu nehmen, er gefiel mir. Dann sah ich, daß er keine Winke brauchte. Er hielt sie in aller Ruhe, denn die Zeit der Unsicherheit war für ihn lange vorbei.
Auch für sie? Oder sollte sie es sein, die stumm um eine Art Beistand bat? – Mein Fräulein, sagte ich, als niemand uns hören konnte. Sie scheinen doch nicht zu wissen, was Sie da auf sich laden. Das Schicksal der La Roche! Eine überspannte und etwas sentimentale Schwärmerin, wider Willen ans Landleben gefesselt, so daß sie all ihre unerfüllte Sehnsucht in eine künstliche Figur verströmt ...
Viel schlimmer, erwiderte Christa T. Wenn’s noch die La Roche wäre! Aber ihre Figur
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