Nachdenken ueber Christa T.
längst im Gange, ihre Liebe hat schon angefangen, sie weiß nur noch nichts davon.
In der Mensa – sie studierte noch – hat er sie zum erstenmal gesehen. Er war Gast von einer anderen Universität, die Konferenz würde noch zwei Tage dauern. Sie steht am Essenschalter an – wer ist das, woher kenn ich sie? Da fängt es an, wenigstens auf seiner Seite. Ihm fällt das Bild in der Wohnstube seiner Eltern ein, das Mädchen im Profil, das ist sie, das Bild war aus einem Kalender geschnitten und stellte irgendeine ägyptische Königin dar.
Er läßt sich von einem gemeinsamen Bekannten an ihren Tisch bringen und lädt sie für den nächsten Abend zum Abschlußfest ihrer Tagung ein. Sie, weder überrascht noch beleidigt, sagt einfach zu, so leicht geht das. Nur daß er sich leider nicht einreden kann, sie sei besonders angerührt, auch den nächsten Abend nicht, auch nicht den Tag über draußen am Kanal. Dann muß er schon wieder abfahren und weiß: Ich bin keinen Millimeter weitergekommen. Obwohl er in seinem ganzen Leben noch nichts so dringlich gewünscht hat wie dies.
Das muß dann später den Ausschlag gegeben haben.
Wir haben ihn lange nicht zu sehen bekommen, obwohl wir wußten, von ihr selbst, da ist jetzt einer. Er wollte mich lange.
Dann blickte sie unschuldsvoll in unsere wißbegierigen Gesichter. Nichts weiter.
Da treten wir am besten ein paar Schritte zurück.
Wie jung sie ist! Wie sie sich nach der Leidenschaft sehnt! So frisch und neu tritt ihr alles entgegen, jedes Gesicht, jede Bewegung, die ganze Stadt, sie duldet nichts Fremdes, lebt in der Gegenwart, verlockt von Farben, Gerüchen, Tönen: Immer neu sich verbinden und immer wieder davongehen dürfen ... Die Stadt gehört ihr – wird sie je wieder so reich sein? Das Kind gehört ihr, das in der Straßenbahn in die Ecke gedrückt sitzt und seine Mutter nach allem fragt, was es von draußen nur hören und nicht sehen kann, der schwarzhaarige Mann – viel Weißes in den schmalen Augen und ein Zug von Härte in seinem Gesicht , dem sie Zärtlichkeit zutraut, ihr wird heiß, wenn sie ihn ansieht, er lächelt und sagt leise »Auf Wiedersehen«, als er fortgeht. Der junge Gärtner, dem sie den viel zu teueren Flieder abkauft und den sie in Verwirrung bringt: »Einem so schönen jungen Mann kann man eben nicht widerstehen ...« Aber den Flieder gibt sie weiter an einen ratlosen Ehemann, der aus einer Versammlung losgelaufen ist, weil ihm sein Hochzeitstag einfiel, und nun sind alle Blumenläden geschlossen. Und auch die Dame gehört ihr, die ihren Sohn besuchen kommt, Theologiestudent, taxiert Christa T., intelligent, aber hochmütig: Nicht unser Freund. Da gehört er ihr auch.
So hat sie sich auf ihre Liebe vorbereitet, denn davon handelt dieses Kapitel. Die Briefe, die Justus ihr schrieb, hat sie freundlich beantwortet, da hört er im rechten Moment zu schreiben auf: Er hatte die Gabe, im rechten Moment das Rechte zu tun. Das war ihr lieb. SeineTelefonnummer verlor sie inzwischen nicht, aber sie wird sie auch nicht oft angesehen haben. Drängen konnte man sie nicht. Sie konnte sich selbst nicht drängen, schnell fiel ihr nichts zu, viel war schon, daß jetzt häufiger eine Ahnung durchschien, worauf das alles hinauslaufen soll, dann aber, wie es sich für sie versteht, gleich mit Verzweiflung gemischt wird: Es faßte sie plötzlich eine große Angst, daß sie nicht schreiben könne, daß es ihr versagt sein werde, je in Worte zu fassen, was sie erfüllte . Dabei redet man vorsichtshalber in der dritten Person, man selbst kann es sein oder irgendeine, die man zum Beispiel »sie« nennt. Von der kann man vielleicht eher wieder loskommen, muß sich nicht hineinziehen lassen in das Unglück ihres falschen Lebens , man kann sie neben sich stellen, sie gründlich betrachten, wie man sich angewöhnt hat, andere zu betrachten.
Das alles könnte zu Liebe werden, nur fehlt der Entschluß. Eines Tages, wie sie wieder durch die Straßen rennt, wie ihr an einer großen Kreuzung eine Menschenmenge entgegenkommt, lauter einzelne Leute, aber jeder ist ihr fremd – auf einmal hält sie an, erschrickt. Mach ich mir auch nichts vor? Wie lange kann man noch warten? Hab ich wirklich noch Zeit? Und wer gehört mir, genaugenommen?
Sie ruft noch in der gleichen Stunde die Nummer an, die sie, wie sich zeigt, bei sich getragen hat. – Du bist das, sagt Justus, das hab ich mir denken können. – Daß ihm die Zeit lang geworden ist, daß er anfing zu zweifeln, schon
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