Nachhaltig tot (German Edition)
erreichen können. In ihrer Familie war es nicht einfach gewesen, als sie klein waren, aber sie beide hatten immer zusammengehalten. Das Abitur problemlos gepackt, dann beide Ingenieurswissenschaften studiert. Anthony hatte aber immer gerne und viel getrunken. Im Studium noch geheiratet, ein Kind bekommen, dann kamen die Drogen ins Spiel. Er hatte alles verloren und war schließlich auf der Straße gelandet, zu stolz, ihn um Hilfe zu bitten.
Bekannte aus dem Elsass hatten David schließlich angerufen und in Bewegung gesetzt. Er hatte seine Kontakte spielen lassen, doch niemand wollte Anthony mit seiner Vorgeschichte haben. Schließlich brachte er ihn bei dieser Personalfirma unter, die Leiharbeiter in die Atomkraftwerke entsandte. Diejenigen, die den radioaktiven Müll rausholten, Wartungsarbeiten machten. Die Drecksarbeit eben. Vor ein paar Jahren dann der Strahlenunfall.
Seit vier Wochen lag Anthony jetzt im Krankenhaus. Die Familie hatte dafür gesorgt, dass er hier behandelt werden konnte. Die Leiharbeitsfirma wechselte die Arbeiter schlauerweise alle drei Jahre aus. Wer krank wurde, konnte sich dann nicht mehr an sie wenden. Und musste nachweisen, dass die Arbeit in den AKWs Schuld daran gewesen war. Ein Ding der Unmöglichkeit. Was Anthony ihm erst jetzt erzählt hatte, die Leiharbeiter wurden quer durch Frankreich von Meiler zu Meiler geschickt, legten im Jahr tausende Kilometer zurück, in eigenen Autos, selbst das Benzin für die gefahrenen Kilometer mussten sie selbst bezahlen. Die EDF-Mitarbeiter in den AKWs verdienten vergleichsweise gut, die Leiharbeiter jedoch bekamen nicht mehr als den Mindestlohn. Als sie für eine bessere Entlohnung gestreikt hatten, hatte er in einem Zeitungsartikel gelesen, dass man sie „Nomaden“ nannte. Mein Bruder, ein Nomade, hatte er bitter gedacht.
Der Strahlenunfall hätte zu einer Rente führen müssen. Doch René Lafitte als der damals zuständige Abteilungsleiter hatte alles unter den Teppich gekehrt. Offiziell waren weder Leib noch Leben der Arbeiter gefährdet gewesen. Außerdem habe das AKW damit nichts zu tun, das sei ohnehin Sache der Leiharbeitsfirma. Auch danach hatte Lafitte nie wieder nach den verstrahlten Männern gefragt.
„Ich habe dich gerächt“, sagte David und streichelte die Hand seines Bruders.
Fast. Noch war es nicht vorbei.
Wie sollte er ins Militärkrankenhaus hineinkommen? Als Pfleger, als Lieferant, als Besucher? Er bräuchte mehr Zeit.
Saarbrücken, später Nachmittag
Ich grübelte, ob ich den Namen, den Franz genannt hatte, an meine französischen Kollegen weitergeben sollte. Franz vertraute mir. Aber hier handelte es sich um eine Straftat. Der zuständige Untersuchungsrichter sollte es wissen. Falls sie nicht ohnehin bereits auf dieselbe Spur geraten waren. Mitten in mein Ringen mit mir selbst klingelte das Handy. Franz war dran.
„Kann ich bei dir vorbeikommen?“
„Klar.“
Franz wollte vertraulich mit mir reden, das konnte er am besten bei mir. Anders als er hatte ich meine Ehe nicht retten können. Gescheitert wie viele Polizistenehen. Meine Kinder waren längst groß, hatten studiert und wohnten nicht mehr im Saarland. Meine Ex-Frau traf ich manchmal in der Bahnhofstraße. Dann wechselten wir ein paar Worte über Belanglosigkeiten. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.
20 Minuten später saßen wir an meinem Küchentisch, zwei Bier und den unvermeidlichen Laptop zwischen uns.
„Also“, ermunterte ich ihn.
„Ich bin sicher, dass wir auf der persönlichen Spur sind, die wir gesucht haben. Der verstrahlte Schmerber und mein Informant sind Brüder. Stammen aus dem Elsass, der eine hat bei der EDF Karriere gemacht, der andere ist bei dieser Leiharbeitsfirma gelandet, frag mich nicht, warum.“
Ich nickte bedächtig. „Wir sollten es der französischen Justiz weitergeben.“
„Ich möchte zuerst mit dem Bruder reden.“
„Das geht so nicht. Wir sind nicht die ermittelnden Behörden.“
„Das ist meine Story.“ Franz sprach jetzt eindringlich. „Erst will ich mit dem Bruder reden, dann die Story online veröffentlichen. Wenn ich sie denn wasserdicht bekomme. Und dann können wir deine Freunde informieren.“
Mir kam ein anderer Gedanke. „Vertuschte Strahlenunfälle. Das wird Cattenom einen Schlag versetzen.“
Franz blickte müde. „Du glaubst doch nicht, dass sie wegen so was ein AKW abschalten.“ Bevor ich was erwidern konnte, hatte er zu einer seiner Reden angehoben. „Wenn du die Franzosen überzeugen
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