Nachhaltig tot (German Edition)
wir eine Runde um den Block“, brummte ich und leinte sie an.
Paris, früher Morgen
David war die ganze Nacht durch Paris gelaufen. Hatte lange zwischen den Touristen an der Sacré Coeur gesessen. Den jede Stunde funkelnden Eiffelturm betrachtet, ohne ihn zu sehen. Immer wieder zog der Moment des Schusses auf René Lafitte durch den Kopf. Wie er die Pistole wieder unter dem Bagger versteckt hatte und sich kurz danach in die Menge der Leiharbeiter eingereiht hatte, um unbehelligt wieder rauszukommen. In der folgenden Nacht hatte er sich auf dem Gelände, wo der Bagger abgestellt war, die Pistole zurückgeholt. Er spürte sie in seiner Hosentasche.
Ihm war kalt.
Dann stand ihm wieder das Bild seines Zwillingsbruders im Krankenhausbett vor Augen. Seine Kinder, die ihn fragten, ob Onkel Anthony sterben müsse. Und ob er auch in den Himmel käme wie der Opa.
Seine Kinder. Claire, wenn sie ihn umarmte und einen feuchten Kuss auf seine Wange platzierte. Léon, der immer als erstes zu ihm kam, damit er seine neuesten Bastelarbeiten bewunderte.
Würde Elodie ihn verstehen?
David biss sich auf die Lippen. Er sehnte sich nach der alten Normalität zurück. Nach der warmen Geborgenheit seiner heilen Familie.
Er schaltete sein Handy wieder ein. Elodie hatte die ganze Nacht über versucht, ihn zu erreichen. Aber auch andere. Nummern, die er nicht kannte.
Auf der Pont Neuf, der Brücke der Verliebten, unweit von Notre Dame, traf er einen Entschluss. Er wollte, er musste nach Hause. Seine Frau und die Kinder wenigstens noch einmal küssen. Was danach kam, hatte er nicht mehr in der Hand.
In einem unbeobachteten Moment warf er die Pistole in die Seine, bevor er die Treppen zur Métro hinabstieg.
Vor dem fünfstöckigen Wohnhaus stand ein fremder Wagen. Noch bevor David den Code für die Pforte gedrückt hatte, war er umzingelt.
Saarbrücken, zwei Stunden später
Bijou und ich waren dann doch die halbe Saar entlanggelaufen. Oder wenigstens fünf Kilometer davon. Unterwegs hatte ich mir ein paar Croissants besorgt und freute mich schon auf mein Frühstück. Als der Kaffee in die Kanne lief und der Duft durch die Wohnung zog, fuhr ich den Rechner hoch und rief die Online-Seite von Franzens Nachrichtenmagazin auf. „Du Hundskerl. Bist schneller als die Polizei erlaubt“, entfuhr es mir. Welche seiner Quellen mein Freund in der Zwischenzeit wohl angezapft hatte?
„Attentäter von Cattenom-Direktor Lafitte gefasst“ stand jetzt da. Ich überflog nur den Vorspann.
„Es handelte sich um einen Mitarbeiter des AKW-Betreibers EDF. Die Demonstranten, die kurz vor dem Schuss auf Lafitte noch vor den Toren des Kernkraftwerkes die Abschaltung gefordert hatten, wurden von jedem Verdacht freigesprochen. Nach Angaben der Behörden ist Cattenom-Direktor Lafitte mittlerweile außer Lebensgefahr.“
Gemeine Interessen
Evelyn Leip
Ernst Hubert stand am Fenster. Sein Blick ging weit über die Felder. Diese Aussicht machte den Kopf frei. Er atmete tief ein. Felder, er musste sich um die Felder kümmern, sonst würde es nichts mit den staatlichen Zuwendungen.
Die sogenannte Energiewende konnte dem Dorf nur recht sein. Es gab genug Ackerflächen, die nicht mehr sinnvoll genutzt werden konnten. Der Bedarf an Energie würde schließlich weiter steigen, auch wenn alle vom Stromsparen sprachen und ein kleiner Boom bei den Solaranlagen eingesetzt hatte. Die allerdings wurden nicht mehr gefördert, was deren Aufschwung einen Dämpfer versetzt hatte. Hubert hatte die Neuigkeit mit Genugtuung vernommen. Die Idee von Windsweep war besser und würde dem Gemeindesäckel satte Steuereinnahmen bescheren. Die würde Hubert dann nach Gutdünken verteilen. Eine Hand wusch schließlich die andere. Sie würden ihm dankbar sein, die Bürger seiner Kleinstadt, die Mitarbeiter der Gemeinde, die geförderten Projekte, die Partei. Und Dankbarkeit schuf neue Gefälligkeiten, neues Verteilen, das Netz wuchs. Er rieb sich die Hände. Nur so konnte eine Gemeinde funktionieren. Gegenseitige Hilfe, ein wenig Vetternwirtschaft, ein wenig Protektionismus, und am Ende profitierten alle. Der Kontakt mit Windsweep war Gold wert.
Allerdings musste der Starrsinn einiger Bauern gebrochen werden. Die wollten ihre Äcker nicht verkaufen. Wollten keine Windräder in der Landschaft sehen. Er dachte vor allem an Markus Wenninge. Angeblich hing Wenninge an seinen Feldern, die seit einer Ewigkeit im Besitz seiner Familie waren, sodass er sich nicht von ihnen trennen konnte.
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