Nachhaltig tot (German Edition)
versorgen, die anderen kauften Kaffee, einige belgische Schokolade für die Kinder. Heute war das nicht möglich.
Die französische Polizei hatte die Grenze abgeriegelt. Offenbar hatten sie auf uns gewartet. Auf uns und andere deutsche Demonstranten, die in der Regel diesen Grenzübergang nahmen.
„Oh je, die Schwarzen“, entfuhr es einem.
Da standen neben den Kollegen von der Gendarmerie die berüchtigten CRS-Polizisten, die erst draufhauten und dann Fragen stellten. Vor ihnen hatten selbst wir deutschen Polizisten Respekt. Nicht im positiven Sinne. Es waren Polizisten vom Schlag wie wir früher, Demonstranten wurden überwacht und wenn der Präfekt es für notwendig hielt, schlugen sie zu. Selbst in Deutschland, als sie vor ein paar Jahren Amtshilfe leisteten und einen Castor-Transport als Beobachter bis ins Wendland begleiteten. Die Fotos von einem CRS-Polizisten, der gegen einen sitzblockierenden deutschen Demonstranten gewalttätig wurde, machte die Runde im Internet. Deeskalation war für den französischen Staat ein Fremdwort. Tja. Und gerade war ein hoher Staatsbeamter angegriffen worden.
Wir waren inzwischen alle ausgestiegen und standen um unsere Autos herum. Ich sah, dass den anderen mulmig war. Mir ging es nicht besser. Aber das half nichts, ich hatte von den 30 Leuten, die mit mir unterwegs waren, die besten Karten. Obwohl ich keinen der Kollegen kannte, ging ich hin und stellte mich als früheren Polizisten vor. Ich wusste, sie durften uns nicht filzen, nur die Papiere kontrollieren. Es sei denn, sie hätten einen konkreten Verdacht oder sähen Gefahr im Verzuge. Also tat ich das, was ich den anderen Demonstranten im Bezug auf Polizisten immer riet: freundlich und vor allem ruhig bleiben. Mit Erfolg. Sie ließen sich unsere Ausweise zeigen und uns dann ziehen. Erleichterung allenthalben.
Saarbrücken, früher Samstagabend
Ohne anzuhalten fuhr ich nach Saarbrücken durch, setzte meine Begleiter ab und rief Franz an. Der wusste schon Bescheid. Wir verabredeten uns bei Helma im Nauwieser Viertel. Seit dem Beginn unserer Freundschaft trafen wir uns dort. Helma war zehn Jahre älter als wir beide, suchte seit einiger Zeit einen Nachfolger. Franz und ich waren froh bei jeder Absage, die sie bekam. Sie war ein patenter Kerl, hörte unparteiisch zu, sagte auch mal, was sie dachte, und hatte uns beiden in privaten Dingen oft genug den Kopf gewaschen. Franz verdankte nur ihr, dass er heute noch verheiratet war. Meine Ehe war schon geschieden, als Helma in mein Leben trat. Aber daran mochte ich jetzt nicht denken.
Franz erzählte mir, was er wusste. Die Kugel sei aus nächster Nähe abgeschossen worden, habe aber das Herz des AKW-Direktors verfehlt. Die Auswertung der Videoüberwachung habe einen Verdächtigen ergeben. Dieser müsse allerdings genau gewusst haben, wo die Kameras sind und habe sein Gesicht mit seinem hochgestellten Jackenkragen und einer Schirmmütze verdeckt. Dunkle Sonnenbrille. Nichts richtig zu erkennen. Alle auf dem Gelände seien verhört worden oder noch beim Verhör.
Woher er das alles schon wieder wusste?
„Quellen“, sagte er und legte sein spitzbübisches Lächeln an den Tag.
Er hatte oft bessere Quellen als ich. Früher hatte ich einen ordentlichen Brass auf ihn gehabt. Nicht wegen der Quellen. Franz berichtete für das Nachrichtenmagazin über den Südwesten. Eigentlich war er in Frankfurt stationiert, wegen der Liebe aber im Saarland gelandet und geblieben. Zu seiner regelmäßigen Berichterstattung gehörten auch die Demos gegen Cattenom. Wir von der Polizei waren bei ihm nie gut weg gekommen. Nicht nur ich hatte ihn als Feind und Schmierenschreiber betrachtet, bis wir beide uns mit den Hunden über den Weg gelaufen waren. Wir nahmen morgens und abends dieselbe Strecke am Saarufer und unsere Hunde freundeten sich an. Erst nickten wir uns nur zu, dann wechselten wir das ein oder andere Wort und irgendwann landeten wir erst im Biergarten am Staden, dann in einer Kneipe am Sankt Johanner Markt. Nach einer durchzechten Nacht versicherten wir einander, uns gar nicht so übel zu finden.
Dann kam auch die Nummer mit der Deeskalation bei der Polizei. Wir nahmen fortan die Demonstranten nicht mehr als Übel- oder Gewalttäter wahr. Sie übten nur ihre legitimen Rechte aus, und wir machten eben unseren Job im Sinne der öffentlichen Ordnung.
Damals fing ich an, auch die Sache mit der Atomkraft anders zu sehen. Interessanterweise änderte auch Franz seine Ansichten, nur in die
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