Nachhaltig tot (German Edition)
schließlich einsehen, dass er ihr keinen Vorwurf machen konnte, weil er selbst nicht erreichbar gewesen war.
„Wir werden dort gemeinsam hingehen, Beatrice. Augenscheinlich wirst du überwacht. Das sieht mir nicht so aus, als ob hier ein Spinner oder Anfänger am Werk ist. Café Norman, sagst du, um zehn. Wir treffen uns fünfzehn Minuten vorher auf dem Parkplatz gegenüber. Wenn zwischendurch irgendwas ist, meldest du dich! Klar?“
Zur vereinbarten Zeit betraten Beatrice Bernstein und Alfred Kronwitter das Café Norman. Die Gaststätte war gut besucht, nur im Nebenraum waren noch einige Tische frei.
„Und nun?“, fragte Beatrice.
„Setzen wir uns, ich denke, er wird uns finden.“
Die Journalisten nahmen Platz, bestellten Kaffee und warteten. Nach einigen Minuten betrat ein hünenhafter Mann den Raum und ging geradewegs auf ihren Tisch zu.
Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Sein Erscheinungsbild war äußerst gepflegt; die silbrig weißen Haare fielen in Locken auf die Schultern. In seinem grauen Nadelstreifenanzug glich er einem englischen Lord, der einem alten britischen Kriminalfilm entstiegen sein konnte.
„Frau Bernstein, Herr Kronwitter, Sie gestatten?“, sagte er zur Begrüßung in einem wohltönenden Bass und setzte sich, ohne die Antwort abzuwarten.
„Sie müssen schon stichhaltige Argumente haben, guter Mann, um uns diesen Firlefanz plausibel zu erklären“, begann Kronwitter und ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht an der Nase herumführen lassen würde.
„Ich kann Ihre Verwunderung durchaus verstehen“, sagte der Fremde mit einem osteuropäischen Akzent. Die Stimme klang fest, und es war unverkennbar, dass dieser Mann gewohnt war, Befehle zu erteilen. Trotzdem sprach er leise und ruhig.
„Wer sind Sie?“, fragte Beatrice.
Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr der Mann fort.
„Die zugegebenermaßen etwas umständliche Vorgehensweise dient ausschließlich Ihrer Sicherheit, seien Sie dessen gewiss. Es gibt einige Leute, die nicht wollen, dass das, was ich Ihnen zu erzählen habe, an die Öffentlichkeit kommt. Aber der Reihe nach …“
Die Bedienung kam, der Mann bestellte einen Kaffee und sprach dann weiter.
„Sie kennen Russland, Sie kennen Gaspol. Es wird umfassend in den Medien darüber berichtet. Wir möchten, dass Sie darüber schreiben, was ich Ihnen vermitteln werde. Sind Sie bereit dazu?“
„Wer sind wir, und weshalb kommen Sie ausgerechnet zu uns?“, fragte Kronwitter.
„Wir, das ist eine nicht näher zu bezeichnende Organisation aus Russland, die gegen die allgegenwärtige Korruption kämpft. Ausgewählt haben wir Ihre Zeitung, weil Ihre Recherchen gut sind, und weil Sie nicht erpressbar zu sein scheinen. Oder noch nicht! Wir wissen auch, dass Sie, Herr Kronwitter, im Augenblick die redaktionelle Verantwortung alleine tragen. Es ist doch zutreffend, dass Ihr Chef nach dem zweiten Herzinfarkt auf der Intensivstation liegt? Der Zeitpunkt wurde von uns nicht zufällig ausgewählt.“
„Sie sind bestens informiert.“
„Das gehört zu unserem Geschäft. Frau Bernstein scheint uns geeignet, weil sie jung und ehrgeizig ist, vor allem aber, weil sie unserer Meinung nach über die notwendige Durchsetzungskraft verfügt.“
„Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen mich überhaupt nicht“, hielt Beatrice dagegen.
„Oh doch, Frau Bernstein. Wir beobachten Sie seit langem.“
„Warum veröffentlichen Sie nicht in Russland?“
„Sie kennen die Verhältnisse nicht. Die Redaktionen sind von Spitzeln durchsetzt. Wir hätten nicht die geringste Chance.“
„Kommen Sie endlich zum Punkt!“, unterbrach Kronwitter.
„Ich verstehe Ihre Ungeduld, aber lassen Sie mich zunächst einiges klarstellen. Die Angelegenheit ist nicht nur brisant, sie ist auch äußerst gefährlich. Für uns, wie auch für Sie. Wenn durchsickert, dass wir miteinander in Kontakt stehen, bevor Ihre Zeitung den Artikel veröffentlicht, sind Sie in Lebensgefahr. Wir werden versuchen, Sie zu schützen, aber einen vollkommenen Schutz wird es nicht geben. Die andere Seite pflegt ihre Ziele ohne Umwege zu verfolgen, und sie ist in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade …“
„Die andere Seite?“, unterbrach Beatrice. „Wer ist das? Der KGB?“
„Sie haben eine falsche Vorstellung von den Zuständen in meinem Land. Der KGB hat längst nicht mehr die Mittel und Möglichkeiten wie in früheren Jahren; er hat an Bedeutung verloren. Mit dem Untergang der Sowjetunion wurden diese
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