Nachhaltig tot (German Edition)
und auch der letzte Spaziergänger den Heimweg angetreten hatte, schenkte sie Jakob den letzten Rest Sekt ein und zog sich dann ihr Kleid über den Kopf. Darunter trug sie ihren Badeanzug. „Lass uns zum Floß schwimmen, ich brauche jetzt Bewegung.“ Flüchtig streifte sie seine Lippen mit ihren.
Jakob schluckte trocken und stürzte den Sekt mit einem Schluck hinunter. Dann zog er sich in Windeseile bis auf die Unterhose aus. Natürlich, Jakobus würde nie nackt schwimmen gehen. Nicht mal am menschenleeren Strand. Als er am Ufer stand, schwankte er plötzlich leicht hin und her, dann ging er aber doch entschlossen ins Wasser und kraulte ihr hinterher.
Sie brauchte nur fünf Minuten bis zum Floß. Sie war schon immer eine gute Schwimmerin gewesen. Als sie sich hinaufzog, war Jakob noch weit hinter ihr. Er keuchte, als er ebenfalls das Floß erklomm und sich auf die Planken warf. Sein Körper war sehr blass und mager. Als er ihre Hand nahm, musste sie sich sehr beherrschen, um sie nicht ruckartig zurückzuziehen. Es war zu früh. „Ach Jakob, ich danke dir für das Gespräch, es hat mir sehr geholfen.“ „Du weißt, dass ich immer für dich da bin“, er näherte sich ihr. Sie rückte unauffällig weg: „Ja, das weiß ich doch, lieber Jakobus.“ Als er versuchte, sie zu küssen, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Fass mich nicht an, das ist ekelhaft …“ Ihre Stimme war eiskalt. „Du bist ekelhaft, Moralapostel Jakobus, aber du wirst mich nicht aufhalten“, sie sprang auf. Er sah sie verständnislos an, dann packte er ihr Handgelenk und wollte sie wieder zu sich herunterziehen. Ellen war mit einem weiten Sprung im Wasser. Jakob hechtete hinterher und versuchte sie einzuholen. Nach wenigen Metern bekam er Schwierigkeiten, seine Bewegungen wurden unkoordiniert, er begann, unterzugehen. „Ellen, Hilfe …“, auch seine Sprache wurde undeutlich. Ellen schwamm weiter, sie hörte hinter sich Geräusche im Wasser, so, als würde ein großer Schwan versuchen, hochzufliegen. Sie drehte sich nicht um, auch nicht, als die Rufe verstummten und es wieder leise wurde.
Sie hatte ihr Frühstück beendet, lächelte ihre Mutter strahlend an, tanzte mit ihr durch die Küche und küsste sie auf die Wange: „Ach, Mamilein, jetzt lass uns loslegen und alles perfekt machen.“ Und schon war sie die Treppe hinauf.
Vier Stunden später stand sie in ihrem schlichten, teuren Kleid mit schlichtem, teurem Make-up und entsprechender Frisur inmitten ihrer Freundinnen in der Diele. Sie sah einfach wunderschön aus, ihr alter, sentimentaler Papi hatte vor Rührung Tränen in den Augen.
Niemand aber wusste, wie unglaublich kostspielig das Kleid wirklich gewesen war. Und wie unglaublich exklusiv die Reise sein würde, die sie Felix gleich zur Hochzeit schenken würde.
Das Diktiergerät mit Jakobs gekürzter, telefonischer Absage und sein Handy hatte sie sorgfältig in Zeitung verpackt, das alles würde in einer Stunde mit dem Hausmüll entsorgt werden. Natürlich hatte sie diskret dafür gesorgt, dass alle ihre Kolleginnen während der letzten Wochen erfuhren, wie abgrundtief traurig Jakob wegen ihrer Heirat war. Das Sektglas mit den K. o.-Tropfen lag seit vorgestern Abend zersplittert im Altglascontainer.
Niemand stellte sich ihren Träumen in den Weg.
Lächelnd hob sie ihren langen Rock und wandte sich zur Tür: „Lass uns endlich fahren, Papa, ich muss doch pünktlich sein bei meiner eigenen Traumhochzeit, das ist schließlich der schönste Tag meines Lebens.“
Im Wald
Astrid Hoerkens-Flitsch
Den Blick und die Taschenlampe auf den unebenen, schlammigen Weg gerichtet, um nicht zu stolpern, lief sie in den Wald hinein. Die Dämmerung war angebrochen, nun würde es nur immer dunkler werden. Sie hastete weiter. Erst als sie nur noch Bäume um sich herum sah, verlangsamte sie ihren Schritt. Immer wieder blickte sie sich ängstlich um. Der Tannenwald mit seinem diffusen Licht, dem beklemmenden Schweigen, war ihr immer schon suspekt gewesen. Doch sie trat tiefer in das Dickicht. Bäume und Unterholz umgaben sie. Es tropfte von den Zweigen, ihr Gesicht und ihre Haare waren schon völlig nass. Der Boden federte unter ihren Schritten und machte schmatzende Geräusche. Sie kletterte über umgefallene Stämme, die sich mit Rankengewächsen verbunden hatten. Einmal glitt sie aus und konnte sich nur noch mit einer Hand abfangen. Sie wischte sie an ihrer Hose ab. Es roch modrig. Finsternis und Stille wurden noch tiefer und
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