Nachhaltig tot (German Edition)
Sterbende, so warnte ein gewisser Manfred Wolfersdorf von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention vor dem Stromtod, erlebe seinen Herzstillstand nach längerem „Kammerflimmern“ schmerzhaft mit, und es komme zu heftigen Verkrampfungen. So hatte sie es auch bei ihrem Verlobten miterlebt.
Es war ihre Wohnung. Ganz schnell würde sie seine Sachen entfernen. Nichts sollte an ihn erinnern. Aber würde sie mit dieser Lüge leben können? Mit dem, was sie getan hatte? Hatte sie es überhaupt getan? Vielleicht litt sie ja unter Halluzinationen, vielleicht wachte sie gleich auf?
Langsam machte sie sich auf den Heimweg.
Als sie vor der Wohnungstür stand, hörte sie Musik, das Radio lief. Hatte sie es angelassen oder hatte sie vielleicht wirklich geträumt und Felix säße in der Küche beim Abendbrot? Sie öffnete vorsichtig die Tür, eine starke Anspannung überfiel sie, ihre Hände zitterten. Ganz langsam ging sie zur Badezimmertür. Nein, sie hatte nicht geträumt. Sie hatte es tatsächlich getan. Sie drehte sich abrupt um und ging zum Telefon, das auf einem Tischchen an der Balkontür stand. Sie sah hinaus. Wassertropfen des letzten Regens glitzerten an den Bäumen, von der Straßenlaterne beleuchtet.
Sie griff zum Telefonhörer und wählte.
Die Rache der Geisha
Silke Wiest
Es war nur ein ganz sachter Windhauch und dennoch ließ er einen Reigen von zartrosa Kirschblütenblättern zu Boden fallen. Sie bedeckten den Boden des Innenhofes des kleinen Teepavillons nahezu vollständig, sodass es so aussah, als ob jemand einen Teppich aus rosafarbener Angorawolle ausgebreitet hätte. Geisha war in die Betrachtung dieses Schauspiels versunken und bemerkte gar nicht, dass Geschäftsmann durch die geöffnete Schiebewand trat. Erst das Geräusch, das entstand, als er seine Schuhe auszog und abstellte, ließ sie langsam den Kopf wenden, sodass die Perlen an den Stäbchen, die aus ihrem kunstvoll hochgesteckten Haar ragten, leicht hin und her tanzten. „Sehen Sie diese Kirschblütenblätter, ihre vollendete Schönheit, sie währt nur sehr kurz – und wie eigenartig, diese wunderschönen Blüten bringen niemals Früchte hervor“, sagte Geisha mit einem letzten Blick auf den Baum im Innenhof. Sie erhob sich, legte die Hände vor der Brust und verneigte sich tief, dann tippelte sie einige Schritte rückwärts und deutete mit einer einladenden Handbewegung auf ein seidenes Sitzkissen, das am Boden lag. „Nanami, Sie sollten doch schön langsam wissen, dass ich nie wieder hochkomme, wenn ich auf diesen Kissen Platz nehme“, sagte Geschäftsmann, lächelte und schüttelte ein wenig den Kopf, wie ein nachsichtiger Großvater, der sein geliebtes Enkelkind tadelt. Geishas dunkelrot geschminkter Mund verzog sich zu einem Grinsen, ihre schwarzen, von einem exakt gezogenen Lidstrich betonten Augen erreichte das Lächeln nicht. Ja, ich hätte es wissen müssen, dachte sie. Sie kannte Geschäftsmann nun schon seit ihrer offiziellen Einführung als Geisha bei ihrem allerersten, großen Bankett. Seit dieser Begegnung hatte Geschäftsmann sie immer wieder für Geschäftsessen und andere formelle Anlässe gebucht, mittlerweile besuchte er sie auch allein im Teehaus. Geisha hatte sich diskret über ihn informiert und erfahren, dass er aus einer sehr angesehenen Familie stammte. Eine Freundin und weitläufige Verwandte von Geschäftsmann hatte ihr erzählt, dass er in seiner Jugend einen ehrenvollen Beruf ergreifen wollte und entschlossen war, Sumoringer zu werden. Er hatte sich einer Mastkur unterzogen, nahm auch beträchtlich an Gewicht zu, musste aber schon bald feststellen, dass ihm die Drohgebärden bei den rituellen Kämpfen Angst einflößten und so gab er sein Vorhaben schließlich auf und speckte wieder ab. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften hatte er die Beamtenlaufbahn eingeschlagen und sich schließlich in Regierungskreise hochgearbeitet. Einige Jahre lang hatte er eine hohe Position in der Atomaufsichtsbehörde bekleidet, um dann aber eine wesentlich lukrativere Stelle in der Wirtschaft anzunehmen. Geschäftsmann hatte eine leitende Position bei einem Atomkraftwerksbetreiber inne und war verantwortlich für die Vergabe und Beaufsichtigung der Wartungsarbeiten und damit auch, zumindest in Geishas Augen, für den Tod ihrer geliebten Zwillingsschwester Tomomi.
Geisha wusste also einiges über Geschäftsmann und war stets bemüht seinen Vorlieben und Gewohnheiten gerecht zu werden. Sie hätte also wissen
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