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Nachhaltig tot (German Edition)

Nachhaltig tot (German Edition)

Titel: Nachhaltig tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brabänder , Karin Mayer
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müssen, dass er nur ungern auf den Bodenkissen Platz nahm. Sie fragte sich, wie ihr diese Unachtsamkeit unterlaufen hatte können. Geisha verbeugte sich erneut fast bis zum Boden hin und ging mit kleinen Schritten in einen Nebenraum. Das Wasser kochte bereits. Geisha schaute in den Topf mit der brodelnden Flüssigkeit und zog unwillkürlich die Luft ein, um dies erschnuppern zu können. Das hatte sie sich seit einigen Wochen angewöhnt, obwohl sie wusste, dass es ganz sinnlos war. Es wollte einfach nicht in ihren Kopf, dass man die tödliche Gefahr, die seit der Katastrophe im nahe gelegenen Atomkraftwerk von diesem Wasser ausging, weder sehen noch riechen konnte. Geisha zuckte mit den Schultern und stellte das kochende Wasser auf das Tablett zu den übrigen Utensilien der Teezeremonie. Geschäftsmann ließ sich gerade auf einer gepolsterten Bank, dem einzigen Sitzmöbel im ganzen Raum, nieder, als Geisha in das Zimmer zurückkam. Das Klackern ihrer Holzsandalen ließ ihn den Kopf wenden und sie ansehen. Dass sie ihre Schuhe auch innerhalb des Hauses trug, war ein grober Verstoß gegen die Tradition, doch diese Freiheit nahm Geisha sich heraus. Zu groß waren ihre Anstrengungen gewesen, ihre Füße klein und zierlich zu halten, jetzt wollte Geisha sie auch in den traditionellen Holzsandalen präsentieren. Sie liebte das Geräusch, das sie beim Gehen machten. Sie fand das Klackern erotisch. In ihren Ohren war dieser Klang wie die Ouvertüre einer Oper. Das „Klack-Klack“ war zu hören, lange bevor Geisha zu sehen war. Sie empfand es als verheißungsvoll, lockend, vielversprechend. Oftmals ging Geisha einfach so, zum Vergnügen, umher, um sich daran zu erfreuen. Geisha hatte sich schon oft gefragt, ob dieses Geräusch nicht überhaupt Auslöser für ihren Wunsch, Geisha zu werden, gewesen sein könnte. Damals, als kleines Kind, Hand in Hand mit Tomomi an der Seite ihrer Mutter, als sie zum ersten Mal eine Geisha, zunächst gehört - dann gesehen hatte, seit diesem Moment stand für sie fest, dass sie Geisha werden wollte. Obwohl ihr bald bewusst
    geworden war, dass dieser Wunsch eigentlich unerfüllbar war, hatte sie dieses Ziel mit Ausdauer und Ehrgeiz verfolgt. Nanamis eigentlicher Name war Takumi. Ihre Zwillingsschwester und sie waren die jüngsten Kinder einer sehr traditionsbewussten Familie – und Takumi war der einzige Sohn.
    Geschäftsmann schien es nicht zu stören, dass sie innerhalb des Teehauses nicht barfuß ging, sollte er diesen Regelbruch überhaupt bemerkt haben. „Perfekt, die absolute Perfektion!“, rief er Geisha entgegen, noch bevor sie ihn mit dem Tablett erreicht hatte. Geisha nickte ihm zu und stellte das Servierbrett in fließenden, geräuschlosen Bewegungen, die diese alltägliche Geste wie einen kunstvollen Tanz erscheinen ließen, ab. Geschäftsmann verfolgte jeden ihrer Handgriffe mit Bewunderung. Er konnte sich nicht sattsehen an ihr. Schließlich sagte er: „Aber egal, wie formvollendet Sie den Tee bereiten, Nanami, etwas Stärkeres wäre mir jetzt lieber.“ Geisha verneigte sich und tippelte davon, um das Gewünschte zu holen. Als sie zurückkam, klopfte Geschäftsmann auf den freien Platz neben ihm. „Setzen Sie sich zu mir, Nanami, lassen Sie uns ein bisschen plaudern.“ Geisha ließ sich nieder und wartete, dass Geschäftsmann ein Gespräch beginnen würde. Doch dieser schwieg, zog ein Tuch aus seiner Hosentasche und tupfte sich die Stirn ab. „Ein ungewöhnlich warmer und strahlender Frühling dieses Jahr“, bemühte sich Geisha eine Konversation zu beginnen. Geschäftsmann ließ das Tuch sinken und starrte Geisha einen Augenblick lang an, dann brach er in schallendes Gelächter aus, bis sein Gesicht an das Sonnensymbol auf ihrer Nationalflagge erinnerte. „Strahlend! Das ist gut, Nanami, das ist wirklich gut!“, brachte er schließlich prustend hervor und wischte sich die Tränen von der Wange, die ihm vor lauter Lachen herunterliefen. Geisha lächelte, sie war überrascht von dem Gefühlsausbruch des Geschäftsmanns. Sie kannte ihn bisher nur als sehr kühlen und kontrollierten Mann. Dass sein Benehmen und sein Äußeres vollkommen harmonierten, war Geisha gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft aufgefallen. Er war schlank und groß gewachsen. Von seinen Sumo-Versuchen war körperlich nichts mehr zu entdecken. Sein Gesicht war glatt und nahezu faltenfrei, trotz seines Alters von etwa sechzig Jahren. Seine dunklen Augen blickten stets kühl und immer sehr aufmerksam.

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