Nachhaltig tot (German Edition)
„Bitte nicht. Es geht nicht“, sagte Geisha. „Was sollen Regeln und Traditionen noch bedeuten? All das wird ohnehin zugrunde gehen, worauf noch Rücksicht nehmen?“, raunte Geschäftsmann mit einer Stimme, die vor Lust bebte. Er fasste Geisha fest im Nacken. Nanami spürte, dass sie all die unterdrückten Gefühle nicht mehr kontrollieren konnte. Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre hoch aufgetürmte Frisur ins Wanken geriet. Die langen, silbernen Nadeln mit den kleinen Seidenblüten fielen klirrend zu Boden. Rasch griff Nanami danach. So als wäre das Auflösen ihrer Frisur ein Symbol für die Auflösung ihres Lebens als Geisha, hob sie den Kopf, streckte ihren Rücken durch und straffte die Schultern. „Nein!“, sagte sie energisch, hob die Hand mit der Nadel hoch und stach zu. Geschäftsmann fiel auf die Knie und griff dabei nach ihrem Kimono. Als er in sich zusammensackte, zog er den Kimono mit zu Boden. Tränen liefen wie Rinnsale durch das dicke, weiße Make-up von Geishas Gesicht. Sie sah, dass der dünne Unterrock, der ihr noch geblieben war, die Wahrheit nicht mehr verbergen konnte. Von ihrem Kinn, das auf ihre Brust gesunken war, fielen weiße Tropfen herab, als ein heftiger Windstoß die dünnen Papierwände vibrieren ließ. Geisha wendete den Kopf und sah hinaus. Plötzlich war es sehr still. Der Wind hatte aufgehört zu toben. Geisha sah zu dem am Boden liegenden Geschäftsmann hinab.. Er atmete nicht mehr, um seinen Körper herum hatte sich eine stetig größer werdende Blutlache gebildet. Geisha beugte sich über ihn und zog ihren Kimono aus seiner verkrampften Hand. Als sie sich aufrichtete, erschütterte ein mächtiges Beben das Haus, Sekunden später öffnete sich der Boden unter ihren Füßen und die Wände stürzten ein.
Von dem Teepavillon war nichts mehr zu sehen, lediglich ein Häuflein Schutt. Nur der Kirschbaum stand noch an seinem Platz. Er trug keine Blüten mehr.
Unter Hochspannung
Karin Mayer
Das Tor ließ sich leicht öffnen. Till hatte es wochenlang zu Hause geübt. Er hatte Talent als Einbrecher. Benni stand ein Stück hinter ihm. Er trug das Protestplakat und zwei lange Stangen. Sie hatten alles genau durchgespielt. Es sollte eine spektakuläre Aktion werden. Till schaute Benni noch einmal an. Er nickte, dann ging Till leise zum Schalthaus des Umspannwerkes.
Er hatte die Aufgabe, den Netzschutz zu manipulieren. ER war sich nicht sicher, ob es ihm gelingen würde. Zu viel Technik. Benni sollte das Plakat in der Anlage aufstellen.
Das Gras war feucht vom Tau, die Nacht neblig. Till hatte schon nasse Füße, als er vor dem Schalthaus stand und dort am Schloss arbeitete. Auch dieses Schloss war kein Hindernis mehr für ihn. Im Schalthaus öffnete er zwei Schutzschränke. Sie waren voller digitaler Technik. Till holte eine Funktionsbeschreibung aus der Tasche und begann am Display nach den entscheidenden Abschaltparametern zu suchen, als es passierte.
Ein Knall, ein Blitz. Es war taghell. Benni schrie und stand in einem riesigen Lichtbogen. Till sah noch, dass er die erste Stange mit dem Protestplakat aufgerichtet hatte. Er blickte in gleißendes Licht. Eine Hitzewelle folgte. Von der Stromleitung aus bis zur Erde, mittendrin Benni.
Er fiel auf die Erde, bewegte sich nicht mehr. Im Schaltschrank knackte es. Das Display zeigte an, dass die Leitung abgeschaltet worden war.
Till war wie erstarrt, rief laut nach Benni, der rührte sich nicht. Sein Körper qualmte. Benni war tot. Jetzt musste alles ganz schnell gehen.
Klaus Södermann saß hinter dem Steuer seines Dienstwagens. Er fuhr mit quietschenden Reifen um eine Kurve. Vor ihm ein silberner Audi mit Frankfurter Kennzeichen.
„Nein, Junge, du entkommst mir nicht“, knurrte er vor sich hin.
Doch der Ganove hatte anderes im Sinn. Södermann gab Gas, die Tachonadel wanderte auf hundertzwanzig Stundenkilometer. Gleichzeitig beugte er sich nach rechts, öffnete das Handschuhfach und zog das blaue Martinshorn heraus. Er schaltete es ein und schob es lässig während der Fahrt aufs Dach. Das Blaulicht blinkte, doch was war das für ein Ton? Da ging doch etwas schief. Södermann schwitzte. Das Martinshorn klang wie ein Telefon. Das Telefon neben seinem Bett.
Schwerfällig griff er zum Hörer. Zwischen Schlafen und Wachen grunzte er ein „Hallo“. Mehr war nach diesem Traum nicht drin. Er wusste ohnehin, was ihn erwartete. Eine ruppige Stimme am anderen Ende der Leitung sagte: „Södermann, Einsatz für Sie.
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