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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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Schmuckkästchen verstaubende Zahnkette mit ihren verschiedenfarbigen Bernsteinkugeln, könnte die Palette meiner launischen Regenbogenhaut noch am ehesten abdecken.
    Ich bezweifle allerdings, dass die hiesigen Schreibwarengeschäfte die Farben »Zahnkette« oder »Langnese-Honig« im Sortiment haben. Das wäre mir mit Sicherheit aufgefallen.
    Aber wahrscheinlich hat mich sowieso niemand gezeichnet, und wenn doch, so hat derjenige bestimmt fälschlicherweise Braun benutzt – nicht weil es passte, sondern weil die Farbe Gelb unerklärlicherweise ausschließlich für Sonnen, Blondinen und das Innere von Gänseblümchen benutzt wird.
    Ich sollte mich also lieber darauf konzentrieren, Janine oder Jacquelines Nase, die eher nach unten zeigt, ihre Lippen, die kaum vorhanden, und ihre Zähne, die klein und spitz sind, aufs Papier zu bringen.
    Es sei erwähnt, dass meine Nase eher nach oben zeigt, meine Lippen voll und meine Zähne eher groß als klein sind.
    Ich strecke die Arme aus, betrachte das fertige Porträt der Kopie und schüttle den Kopf über die Blindheit der Leute. Ähnlichkeit. Pah.
    Unsere einzigen Gemeinsamkeiten, von der Form der Augen einmal abgesehen, bestehen darin, dass wir das Haar lang tragen und die Abende im selben Turnverein verbringen.
    Der Turnverein. Hier beginnt die nächste Reihe unserer Gegensätze.
    Ich turne, weil ich, wie meine Mutter sagt, »zu viel Energie« habe. Außerdem befürchtet sie, dass ich vom vielen Klavierspielen einen krummen Rücken bekommen könnte.
    Janine oder Jacquelines Motiv, aktives Turnvereinsmitglied zu sein, hängt weder mit einem Überschuss an Energie, noch mit ihrer Wirbelsäulengesundheit zusammen. Janine oder Jacqueline ist aufgrund des Ehrgeizes ihrer Stöckelschuhe und Leopardenprint liebenden Mutter hier, die ihre Freizeit offensichtlich leidenschaftlich gerne auf dem Bänkchen neben dem Geräteraum verbringt, von wo aus sie ihre Tochter mit lauter Stimme anfeuert.
    Ehrlich gesagt bin ich ziemlich froh, dass meiner Mutter für Derartiges sowohl die Zeit als auch die Dreistigkeit fehlen.
    Wenn ich mich, anstatt mich brav warmzulaufen, hinter den schmutziggelben Schweizerkäsebergen aus Schaumgummi verstecke, so muss ich keine allzu großen Ängste ausstehen, da unsere Trainerin solch kleine Schummeleien, im Gegensatz zu Janine oder Jacquelines Leopardenmutter, mit Humor nimmt. Faulenzerei im Rücken riesiger, rückfedernder Würfel – ein Privileg, von dem Janine oder Jacqueline nur träumen kann.
    Ein einziges Mal habe ich bei Janine oder Jacqueline übernachtet. Zu jener Zeit versuchten ihre Eltern, die mein Vater, der sonst kein Wort zuviel verliert, in diesem wenig schmeichelhaften Tonfall als »Neureiche« bezeichnete, auf ziemlich penetrante Art, sich mit meinen Eltern zu befreunden.
    Offenbar übte das »von« in unserem Nachnamen eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus ⁠…
    Das Abendessen meines ersten und letzten Übernachtungsausflugs in die Kitschhöhle der Leopardenmutter entwickelte sich zu einem unangenehmen Verhör, welches, aus Sicht der Leopardin, überaus unbefriedigend verlief.
    Meine Eltern sprechen nicht gerne von der Vergangenheit und meinen Großvater, der die Leopardin so brennend interessierte, habe ich nie gekannt. So konnte ich von den vielen, mit Speise- und Speichelspritzern gespickten Fragen, die sie auf mich abfeuerte, kaum eine beantworten. Selbst wenn ich mehr über die »von Brauns« gewusst hätte, so hätten mich die drei fetten, nahrungssuchenden Perserkatzen, die ständig auf den Tisch und zwischen die Teller sprangen, von einer längeren Berichterstattung abgehalten. Das Katzentrio, welches massenweise Haare und einen durchdringenden Pissegeruch über die Stockwerke verteilte, erzeugte bei mir einen heftigen, in aufstoßenden Wellen gegen meine Kehle schwappenden Brechreiz.
    Die einzige Information, die ich, aus Höflichkeit und um die Leopardin nicht zu sehr zu enttäuschen, hervorwürgen konnte, war die, dass der Großteil meiner Familie seit Langem in den USA lebt.
    Ich sitze auf dem lederbezogenen Hocker.
    Da, wo die Klavierschule stehen sollte, kleben zwei mit Tesafilm befestigte Zeichnungen. Augen wandeln auf Buntstiftpfaden. Finger, die eben noch in jenen maunzenden Höhen, welche der Leopardin und ihrem leisetretenden Gefolge entsprechen, klimperten, kehren zurück in menschlichere Gefilde und erwecken andere, in Bauchlage ersonnene, Melodien zum Leben.
    Voller Stolz präsentiere ich die neuen

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