Nachhinein
kleine, winselnde Quietschgeräusche.
Später befühlt sie das Cape. Erschlafft hängt es am Haken. Gibt sich harmlos, frotteeflauschig. Ein Meister im Täuschen und Tarnen. Einer, der weiß, wie man sich vor Müttern versteckt. Müttern, die nichts ahnen wollen. Müttern, die an den Bademantel glauben.
30.
Die Spielstraße runter, am Wäldchen vorbei, dem Ortsende entgegen, wo von der Straße ein kleines, zwar asphaltiertes, doch nur für landwirtschaftlichen Verkehr freigegebenes Sträßchen abzweigt. Über die Hügel, bräunlichen Traktorspuren folgend, bis zum nächsten Stück Wald, das etwas verloren zwischen all den Koppeln und Feldern liegt. Bald mündet graue Glätte in Kiesig-, Kurvig-, Holpriges.
Unter uns knirscht es. Der Feldweg führt uns am Waldrand entlang. Zu unserer Linken, etwa fünfzig Meter entfernt, zeigt sich, alt und alleinstehend, angekokelt und unglücksrabisch, der Baumkrüppel. Vom Blitz getroffen, doch nicht vernichtet, vom Bauern vergessen, wenn nicht verachtet, krallt er sich an den Boden. Ein Baum für kreischende Krähen, auf deren Trauerkleid ein Rußfleck nicht weiter auffällt. Die bunt herausgeputzten Sänger dagegen meiden seine Äste, die eigentlich Stümpfe sind.
Wir ziehen weiter zum Jägerstand. Die morsche Konstruktion klebt an der Eiche wie Efeu. Noch. Vielerorts schickt sich das nachwachsende Holz an, die Nägel, einen nach dem anderen, aus der Rinde zu pressen. Der Baum schließt seine Wunden, macht sich los und die Bretter lose.
Uns schreckt das nicht. Wir klettern nach oben, sitzen in der Höhe, denken nicht ans Fallen.
Die Stimmung ist angespannt. Ich bin es leid, immer Ken sein zu müssen. Dein starrköpfiges Beharren auf der ewiggleichen Rollenverteilung, welche für dich ein Pendeln zwischen Chun-Li und Ryu, für mich jedoch ausschließlich den Part des reichen Hotelkettenbesitzer-Sohnes, der lediglich aus Abenteuerlust und Geltungsdrang zu kämpfen scheint, vorsieht, kränkt mich. Der Verdacht, dass du meinen und Kens Charakter für ähnlich hältst, erhärtet sich von Woche zu Woche. Um jene Vermutung auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen, liste ich Kens markanteste Eigenschaften auf.
Erst die guten: Nach allem, was ich weiß, kann er im Allgemeinen als leichtlebig und gelassen beschrieben werden. Sein Gang ist federnd, aufrecht, mit graden Schultern und unbeschwertem Kopf. Kein Krümmen, Ducken oder Hängen, kein Schlurfen oder Schleichen weit und breit. Er ist der Typ für Spitzbubenstreiche und derbe Witze. Einer, der für sein Leben gern mit Mädchen schäkert. Wer sich von einem Jungen aus gutem Hause Stil und Understatement erwartet, mag ob des signalroten Anzugs und der wasserstoffblond gefärbten Mähne den Kopf schütteln. Glitzer. Protz. Prunk. Der ganz große Auftritt – das sind die Dinge, die Ken gefallen. JasminCelineJustine wünscht ihn sich stets besonders exaltiert. Sie liebt es, ihm die ganz großen Aufschneider-Sprüche in den Mund zu legen, der leider auch der meine ist. Doch damit nicht genug. Der Ken, den sie in mir sehen will, muss außerdem ungeduldig, aufbrausend und von unübertroffener Arroganz sein.
Allmählich verselbstständigte sich jedoch die unsympathische Seite des amerikanischen Fighters zusehends. Hinter der bröckelnden, perlweiß-grinsenden Fassade seines Gesichts taten sich täglich neue Abgründe auf, in deren Tiefen sich seine Eigenschaften grotesk veränderten, verstärkten oder verkehrten.
In der Zeit vor jener düsteren Metamorphose schien Ken lediglich stets ein wenig zu lax. Man verzieh ihm seine Tendenz zu vorschnellem Urteil und Handeln, welche man als Begleiterscheinung seiner angeborenen Sorglosigkeit ansah, jedoch gern. So mutierte der einstmalige Sunnyboy zunehmend zum unberechenbaren Großkotz.
Der Schritt vom Strahlemann zum Unsympath, über dessen schlüpfrige Sprüche längst kein Mädchen mehr lachte, und dem man Kontakte zum Rotlichtmilieu, wo schlagkräftige Typen bekanntlich immer gebraucht werden, nachsagte, vollzog sich schneller als gedacht …
Je länger ich über Ken nachdenke, desto finsterer wird meine Stirn. Was hat das mit mir zu tun, frage ich mich, während meine Unterlippe beleidigt anschwillt.
Der Stachel sitzt umso tiefer, als mir einige der Kenschen Eigenschaften, im schonungslosen Licht der Wahrheit betrachtet, durchaus bekannt vorkommen …
Hinzu kommt, dass ich den Vorwurf der Arroganz schon seit gefühlten Ewigkeiten aus verschiedensten Mündern und Ecken
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