Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
Vom Netzwerk:
nicht erschließen.
    Als wir in die Straße mit Tiernamen einbiegen, erkläre ich meiner Mutter, dass ich (vorerst) kein Interesse daran habe, mich zu wiederholen. »Das dachte ich mir schon«, sagt sie und lächelt.
    29.
    Er ist nicht länger ihr Vater. Er ist genauso wenig ihr Vater, wie das Stück Stoff, das hinter ihm zu Boden fällt, ein Bademantel ist.
    »Master Bison removes his cape before battle.” Sie versteht.
    Sein Körper schimmert militärisch rot. Weiter unten die Steifheit eines Mastes, angefüllt mit Blutfahnen.
    Geballte Entblößung verdeckt das Panorama des Zimmers, negiert die Existenz von Nacktheit und Schutzlosigkeit als Paar.
    Die silbernen Arm- und Schienbeinschoner seines Kostüms bleiben unsichtbar. Sie fühlt nur ihr Gewicht.
    Letztes Blenden des Lampenlichts, bevor er sie niederwalzt. Jetzt auf dem Rücken. Dicht an dicht mit der unentschlossenen Silhouette die verdunkelt-erhellt-verdunkelt-erhellt – sekundenschnelle Sonnenfinsternisse, die mit der Regelmäßigkeit gesalzener Wellen hereinbrechen.
    Sein Rhythmus ist wider die Natur. Verursacht Verstörung. Ist Schlafens-, ist Wachens-, ist Sterbenszeit? Die Vögel würden verrückt werden.
    Sie blinzelt.
    Woher die Helligkeit? Ein Lichtreflex auf der goldglänzenden Totenkopfapplikation seiner Mütze? Ein brennendes Deckenlicht?
    Für Augenschließen und Schwärze fehlt ihr der Mut.
    Pupillen und Iris der Gestalt, die nicht ihr Vater ist, nicht ihr Vater ist, nicht ist, nein, nein, niemals, verschwinden hinter flackernden Lidern, hinterlassen geisterhaftes Weiß. Sonst nichts.
    Das unbeseelte, stumpf-schwere Ding auf ihrem Brustkorb fordert Gehorsam. Immer wieder Gehorsam.
    Sie sucht nach ihrem Lebensbalken, hofft auf Überlebenszeichen. Balken, Planken, Treibholz – sie nähme alles, was oben schwimmt und Untergänge verzögert. Sie findet nichts.
    Seine Berührung verschleppt sie an Orte außerhalb der Zeit. Mutmaßlich wartet Lebendigkeit anderswo. Sie ist sich nicht sicher.
    Sicher ist nur, dass diese Hand nicht ihr Vater ist. Sie ist genauso wenig ihr Vater, wie der Schweiß, der da herabtropft.
    »Master Bison possesses an inherently evil energy.«
    Gegenwehr ist zwecklos.
    Sie konzentriert sich aufs Erinnern. Ruft sich die schöne Chun-Li, ihre im Wind wehenden Haarbänder und das Azurblau ihres Kleides ins Gedächtnis. »A young girl, filled with the beauty of spring.« Auch sie eine Waise, vaterlos. Oh, wie schön sie war. Schön und nutzlos mutig. Master Bison hat auch sie besiegt. »He defeated her, then flew away laughing, telling her that if she ever attacked him again, he would kill her just like he had killed her father.”
    Die Sinnlosigkeit unzähliger Racheschwüre, die den Vater nicht zurückbringen.
    Sie wird noch immer berührt. Es kommt ihr unmenschlich vor. Fühlereien eines Insekts. Die große Plage.
    Das Beobachten zehnbeiniger Fingerspinnen erzeugt Abschüttelreflexe.
    Kotzreiz.
    Ein Klumpen Magen zwischen anderen verräterischen Organen, die weiterpumpen und atmen und filtern, als wäre nichts dabei.
    Grausame Gleichgültigkeit der Körperfunktionen, deren Interesse dem Tagwerk allein gilt.
    Weiteratmen als oberste Priorität. Fürs Jetzt bleibt nur ein lascher Ekel. Läppischer Widerstand. Verpuffende Hassgefühle.
    Ihr Mangel an Wehrhaftigkeit beschämt sie zutiefst.
    »Du bist nicht mein Vater«, sagt sie, sagt es laut, damit die Welt es hört, wiederholt’s, damit es sich einprägt, schreit’s, auf dass es Realität werde, und erntet Ohrfeigen. Für jeden Satz eine.
    »Anyone who opposes me, will be destroyed«, droht Master Bison.
    Doch sie lebt weiter, präsenter als je zuvor. Spürt sich beim Gehen wippen. Sehnt sich nach Verschwinden. Rückblicke bestätigen: Neugewachsene Merkmale und Master Bison erschienen simultan. Sie träumt von handtellergroßen Fünfmarkstücken, mit denen sich die verfluchten Brustbeulen zurückdrängen lassen, und lässt die Zeiger ihrer Armbanduhr rückwärts laufen, immer im Wissen, dass es sinnlos, sinnlos, sinnlos ist.
    Der Wunsch, in ein Gestern zurückzukriechen, dessen Unbeschwertheit noch nicht von Brüsten überschattet, von Hüften verdrängt war, bleibt unerfüllt. Ihr Spiegelbild, stur und unbestechlich, präsentiert fleischliches Unkraut. Warum musste sie derart wuchern?
    Veränderungen auch an anderen Stellen: Wo einst Augen waren, hocken zwei Wasserspeier. In ihrem Gesicht kein Lächeln mehr. Während sie sich wegdenkt, geht’s weiter.
    Das Bett macht

Weitere Kostenlose Bücher