Nachhinein
Dreieck: zwei Seiten Mensch, eine Seite Laternenpfahl.
Wenn ich das Grau umkreise, singt die Laterne surrende Lieder in meine Hand. Ihr Licht versteckt sich, irgendwo weit über mir, hinter dicht gewobenen Netzen aus Spinnweben. Solange die Sonne auf den Schirm, der mehr ein Helm ist, knallt, hat es Pause. Wir surren weiter. Die Handfläche wird heiß.
Zu wissen, dass du schläfst, rückt dich in weite Ferne.
Da ist das Stück Rasen. Die Steinborte, die dein Haus umzingelt. Dicke Schichten beigefarbener Verputz, dahinter Stein auf Stein auf Stein. Zwanzig Zentimeter blechernes Fensterbrett. Das Rollo. Dahinter Glas, mehrschichtiges Fensterglas. Eine angegraute Gardine. Ein knapper Meter Teppich bis zu deinem Bett und dann endlich: deine Füße, Beine, Bauch. Dein Mund und deine Augen, die mich wiedererkennen können, wenn du sie aufschlägst. Aber du schläfst. Es gibt mich nicht. Nur Traum und Trugbilder: bunte Mischlingskinder, deren Mütter unterschiedlichste Erfahrungen sind, und deren Väter in den Bildverarbeitungszentren deines Hirns arbeiten … Wenn ich dich nachts besuche, weiß ich nichts davon.
Ich wechsle Hand, Arm und Drehrichtung.
Es gibt noch mehr, was uns trennt, ahne ich, und aus der Ahnung, die sich mit jeder Drehung tiefer in mich einschraubt, wird Wissen. Wehmütig krame ich meine Lieblingsszene hervor:
Wir beide – noch winzig genug, um gemeinsam in die baggergelbe Rollkiste zu passen – kauern uns in den fahrbaren Stauraum.
Kein Neigungswinkel, der uns zu steil wäre. Uns und unserem Wagen. Damals. Kreischend jagen wir die Hänge hinab. Das hat die Welt noch nicht gesehen: ein Blitz mit Passagieren! Alles staunt.
Wir rasen weiter. Rollen, bis uns Randstein oder Kies zu Fall bringen und zwei Handvoll Glieder lachend übereinanderpurzeln. Gemeinsames Fallen bleibt stets schmerzlos.
Immer wieder. Den Hügel hinauf, den Hügel hinunter. Der Asphalt schleift die Räder. Am Ende brechen sie entzwei.
Vom Fahrtwind ausgekitzelt liegen wir in den Wagentrümmern, die Knie mit identischen Schürfwunden verziert. Kein Brennen und kein Straßenstaub kann unser Glück verhindern.
Die Gewissheit, auch den letzten Tropfen Spaß aus dieser Kiste gepresst zu haben, erzeugt ein Schweben. Dass wir es wagen, Seite an Seite zu stürzen, macht uns stolz.
Zerkratzt, doch nicht zerbrochen, mit Blick auf das zu Tode gerittene, gelbe Pferd, stehen wir am Fuße des Hügels. Die Bäuche von wahnsinniger Freude wundgelacht.
So was lässt sich nicht wiederholen.
Ich stelle die Drehungen ein. Der Pfahl schweigt.
Zu bemerken, dass ich mich nach der Zeit sehne, als du noch keine Frau warst und ich nicht immer den Mann spielen musste, missfällt mir … Verstimmt rupfe ich eurem Rasen ein Büschel Gras aus und bewerfe die Straße mit dem grünen Konfetti.
Scheiß Warten.
Kurz bevor mich meine Ungeduld zum Klingelknopf treibt, biegt der Ägypter ums Eck. Sein krokodilgrüner Blick erzeugt das vertraute Flummihüpfen hinter meinem Brustbein.
»Ich hab was für dich«, sagt er, worauf das Springding in meinem Inneren wilde Haken bis in den Bauch schlägt.
Was-was-was! Sag-sag-sag!
Er gibt sich geheimniskrämerisch. Die Kostbarkeit hier auf offener Straße zu enthüllen, kommt nicht in Frage. Er will zum Egelsee.
Der Gedanke, meinen noch immer juckend unter Strom stehenden Körper vom Steg zwischen Wolkenspiegelbilder zu werfen, gefällt mir. Tausche Warten gegen Vorfreude, denke ich – und stopfe den Turnbeutel mit Handtuch und Badezeug.
Als wir aufbrechen, bewegt sich dein Rollladen. Zu spät.
32.
Als der Wind das Vier-Uhr-Läuten durch die Straßen trug, lag sie noch wach. Jetzt zeigt der Wecker zehn nach elf. Ihre Augen sind müde, aber offen. Im Rollladen klafft ein kleiner Spalt. Vorfreudige Vermutungen scheuchen sie aus dem Bett und ans Fenster. Ihr Spähen bestätigt’s: draußen wartet jemand.
Das geschlitzte Bild der Freundin verschwimmt an den Rändern. Sie erkennt sie trotzdem, würde sie unter Tausenden erkennen.
Zu sehen sind ungeduldige Baumelbeine, deren Enden in abgeschnittenen Jeans stecken. Dazu Spaghettiträger, irgendwann gerissen, jetzt verknotet. Vom höchsten Punkt des Kopfes biegt sich ein Zopf in Südseepalmen-Manier zur Schulter hin, streift und streichelt das Gelenk wie Weidenzweige Wasserflächen … Am Ende summieren sich Gesehenes und Ungesehenes, Sichtbares und Unsichtbares, verschmelzen Gewusstes, Geglaubtes und Vermutetes zu einer Legierung, die Gestalt
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