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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Sein Gesicht war ganz ruhig.«
    Sie schweigt. Dann fragt sie langsam: »Kannst du das beschwören?«
    »Ja.«
    »Bei allem, was dir heilig ist?«
    Ach Gott, was ist mir schon heilig – sowas wechselt ja schnell bei uns.
    »Ja, er war sofort tot.«
    »Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?«
    »Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war.«
    Ich würde noch wer weiß was auf mich nehmen, aber sie scheint mir zu glauben. 6
     
    Krieg ist überall, an der Front, in der Heimat, in der Fassungslosigkeit einer Mutter, in der Betäubung eines 19-Jährigen, der als Soldat in kürzester Zeit lernte, seine Gefühle von Schmerz und Trauer nicht mehr wahrzunehmen. »Im Westen nichts Neues« erschien zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. So lange brauchte Remarque, um für seine Kriegserlebnisse Worte zu finden. Er beschönigt nicht, er heroisiert nicht. Er sagt präzise, wie es war. »Im Westen nichts Neues« wurde in 50 Sprachen übersetzt und erreichte bis heute eine Auflage von 20 Millionen. Das Buch beschreibt die Schrecken aller Kriege. Aber es beschreibt nicht die Verbrechen des Krieges. Denn darin unterscheidet sich der Erste |48| Weltkrieg vom Zweiten Weltkrieg. Wäre Remarque, der 1933 in die Schweiz emigrierte, 1939 als Soldat eingezogen worden, hätte er schnell feststellen müssen: Dies ist kein normaler Krieg.
    Als Vernichtungskrieg wurde er in Berlin geplant und als solcher von den Kommandierenden in den überfallenen Ländern geführt. Die Folgen sind uns allen bekannt. Dieser Krieg wurde auf der ganzen Welt, aber eben auch in der BRD wie der DDR geächtet. Damit sahen sich die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen konfrontiert. Die meisten deutschen Veteranen des Zweiten Weltkriegs brachen, wenn überhaupt, erst als alte Männer ihr Schweigen. Davon war gelegentlich in meinen Gesprächen mit Nachkriegskindern die Rede. Wenige Wochen, bevor Vera Christens* Vater starb, äußerte er sich dazu, in einem einzigen, aber entscheidenden Satz: »Ich habe ein glückliches, erfülltes Leben gehabt, aber das, was ich im Krieg erlebt habe, damit bin ich nicht fertig.«

Mauerfall und Depression
    Die Ärztin Vera Christen berichtete von ihren Depressionen, von mangelndem Lebensmut, und wie lange sie brauchte, um zu erkennen, dass sich in ihren seelischen Zuständen neben anderen Einflüssen auch die unheilvolle deutsche Vergangenheit niederschlug.
    Im Jahr 1989, als Deutschland den Mauerfall feierte, begann für Vera Christen ein Jahr der Dunkelheit. Über Monate hatte sie versucht, einer schwer depressiven Freundin zu helfen und war gescheitert. Die Freundin brachte sich um. Kurz bevor sie sich das Leben nahm, hatte sie zu Vera gesagt: »Du hast es gut – du hast es geschafft!« Die junge Ärztin, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, hatte nichts dazu gesagt, doch gedacht hatte sie: Du hast keine Ahnung! Nichts habe ich geschafft!
    Als das Begräbnis hinter ihr lag, spürte sie eine deutliche Warnung: |49| Du musst etwas tun! Auch du läufst Gefahr aufzugeben. Vera Christen stand am Wendepunkt und traf eine Entscheidung: Ich möchte leben, das ist für mich nicht selbstverständlich, ich muss etwas dafür tun, damit ich leben kann.
    Seit sie denken konnte, fehlte ihr der Boden unter den Füßen – so beschreibt sie im Rückblick ihr vorherrschendes Lebensgefühl. Durch ihre ganze Kindheit zog sich ein Zwiespalt. Mutter, Vater, ihre beiden Geschwister, für sie alle stand fest: Wir sind eine heile Familie. Für ihre Eltern war klar: Wir lieben unsere Kinder über alles, wir wollen ihnen einen guten Start ins Leben ermöglichen. Wir können über alles reden. »Dem gegenüber stand immer mein Gefühl: Da ist etwas faul, etwas stimmt nicht«, schildert Vera ihre frühe Beunruhigung. »Aber weil sich alle anderen so einig waren, habe ich geglaubt: Mit
mir
stimmt etwas nicht! Ich war mir selbst ein Rätsel.«
    Sie war in einer Umgebung aufgewachsen, wie sie für Kinder kaum besser sein kann. Ein großer Garten am Waldrand, daneben der elterliche Betrieb. Sie, die Älteste, bekam einen Hund, später ein Pferd. Als sie anfing, sich über die Welt der Erwachsenen Gedanken zu machen und dabei auf Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten stieß, die sie nicht anzusprechen wagte, sah Vera in ihren Tieren die verlässlichsten Gefährten. Von ihnen fühlte sie sich verstanden.

Wenn Vater explodierte
    Wie soll man als Schulkind verstehen, warum der Vater schlägt, der doch »der liebe Papi« ist?

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