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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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wenig Zeit vergangen ist von 1945 bis 1958 – meinem Geburtsjahr. Und ich habe als Vergleich zurückgerechnet, wie nah für mich noch der Mauerfall ist.« Auch begann sie zu verstehen, in welchem Ausmaß dieser Krieg viele Menschen nachhaltig verstört hatte, so dass ihre Selbstkontrolle versagte.
    Was mag der Grund dafür gewesen sein, dass ihr Vater die Beherrschung verlor? Hatte sie ihn provoziert? Vera schüttelt den Kopf. Nie hat jemand später in der Familie erzählt, sie sei ein anstrengendes Kind gewesen, sagt sie, nie habe sie Streiche gemacht, im Gegenteil, sie müsse ein ausgesprochen pflegeleichtes Kind gewesen sein. Das habe sie auch später ihre Mutter sagen hören. »Allerdings meinte sie auch, ich hätte gelegentlich einen Dickkopf gehabt«, fügte sie hinzu: »Es gab Pflaumenkuchen, ich aber wollte Apfelkuchen, und wenn es keinen Apfelkuchen gab, dann sagte ich: Ich esse den Pflaumenkuchen nicht.«
    Weil die Gewaltausbrüche beim Essen stattfanden, frage ich nach, ob der Vater unter einem Hungertrauma gelitten haben könnte. Sie schaut mich überrascht an, denkt nach, und schließlich erfahre ich: Es gebe da eine Geschichte, die ihr Vater häufiger erzählt habe. In der Gefangenschaft hätten sie zu zweit pro Tag eine Pflaume bekommen. Es sei Streit entbrannt über die Frage: Wer kriegt den Kern und wer kriegt das Fruchtfleisch – der Kern sei natürlich sehr viel begehrter gewesen, da habe man lange drauf rumlutschen können …
    Ihr Vater Bernhard Klemm* wurde 1927 geboren. Mit 14 Jahren kam er zur Flak, mit 16 Jahren an die Front. Bei Kriegsende geriet er in englische Gefangenschaft. Klapperdürr sei er bei der Entlassung gewesen, erzählt seine Tochter, das habe sie auf einem |53| Foto gesehen. Dann nimmt sie meinen Gedanken auf: »Doch, es kann sein, dass Vaters Hungertrauma getriggert wurde. Das kann wirklich sein. Ich mochte bestimmte Dinge nicht und war dann wohl bockig.«

Gespräche vom Krieg hinter verschlossenen Türen
    Gelegentlich besuchten den Vater Kriegskameraden. Man saß hinter verschlossenen Türen. Zwischen einem der Männer und ihrem Vater habe eine große Herzlichkeit bestanden, erinnert sich Vera. Aber er habe sich nie dazu geäußert, was sie verband. In der Familie, fügt sie hinzu, sei über Krieg nicht gesprochen worden. Der Vater sei gesellig und humorvoll gewesen, scheinbar ein extrovertierter Typ, aber tatsächlich habe er das Wesentliche in sich verschlossen.
    Bernhard Klemms Leben bestand aus Arbeit. Er war ein erfolgreicher Gartenfachmann, Pflanzenzüchter und Geschäftsmann. Beim Aufbau des Betriebs hatte es eine Reihe von Rückschlägen und finanzielle Krisen gegeben, aber sein Optimismus verließ ihn nie. In der Stadt sagten sie über ihn: »Der Bernhard gibt nicht auf«. Auch sein Gemeinsinn fand Anerkennung, er engagierte sich in zahlreichen Ehrenämtern. Man habe ihn als eine integre Persönlichkeit gesehen, erinnert sich seine Tochter. Die sozial Schwachen seien von ihm mit großer Selbstverständlichkeit unterstützt worden. Nie habe er schlecht von Flüchtlingen geredet.
    Seiner Familie widmete er nur wenig Zeit. Er gehörte zur Kategorie »abwesender Väter«, und das fand Vera als Kind und Jugendliche normal. Dass ihr in der Beziehung zu ihm etwas gefehlt hatte, wurde ihr erst bewusst, als sie schon über vierzig Jahre alt war. Da schmerzte sie plötzlich die Erinnerung an den zugewandten, liebevollen Vater ihrer frühen Kindheit. Sie hatte auf seinem Schoß gesessen und er hatte selbst erfundene Geschichten erzählt, die von den Abenteuern zweier Bären handelten. Mit Beginn der Schulzeit war das vorbei. »Es gab nur ganz wenige Momente, in |54| denen ich mit ihm alleine war«, erzählt Vera Christen, »und ich hatte dann immer das Gefühl, es mit einem Fremden zu tun zu haben. In den Tischgesprächen ging es nur um seine Belange. Wir Kinder waren Statisten. Dabei sagte Mutter oft: Er ist so stolz auf seine Kinder, seine Familie bedeutet ihm soviel, da tankt er auf. – Und es war klar: Wir, die Klemms, sind etwas Besonderes.«

»Mach einen Mann glücklich, dann geht es dir gut«
    Es herrschte eine strikte Rollenaufteilung bei den Eltern. Die Mutter, zehn Jahre jünger als ihr Mann, kümmerte sich um die drei Kinder und den Haushalt. Vera schildert sie als herzlich und umtriebig, aber auch als kränkelnd. Mit ihren Problemen habe sie bei der Mutter kein Gehör gefunden. Besonders in der Pubertät habe sie sich allein gelassen gefühlt. »Es ging mir

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