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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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wird und ich mich dann unfrei fühle.«
    Darin erkennt er ein Erbe seines Vaters. Josef Holdt*, Jahrgang 1916, hatte auch keine Freunde. Es kamen nur Verwandte oder Nachbarn zu Besuch. Für seinen Vater, meint Manfred Holdt, sei Geldverdienen und für eine Familie sorgen zu müssen sehr anstrengend gewesen. Jedenfalls habe er viel in der Küche auf der Couch gelegen – tagsüber sei man ja nicht ins Bett gegangen – und die Familie habe sich derweil möglichst still verhalten müssen. »Er hatte immer Ausschläge an den Händen«, erinnert sich sein Sohn, »doch im Ruhestand war das schlagartig weg – also eine eindeutige Stresserscheinung. Ich weiß aber nicht, welche Arbeit er lieber gemacht hätte.« Manfred Holdt hatte bei seinem Vater nie funkensprühende Begeisterung für irgendwen oder irgendetwas gespürt. Seine Kinder nahm er wenig wahr, sie sollten nicht stören, keine eigenen Wünsche haben, gute Schulnoten heimbringen, Abitur machen. Nie unternahm er etwas ihnen zuliebe, nur selten kam er auf die Idee, mit ihnen in den Wald zu gehen und sie mit der Natur vertraut zu machen.
    |120| »Ab meiner Zeit auf dem Gymnasium habe ich meinen Vater gehasst«, sagt Manfred Holdt; seine Stimme klingt ruhig und fest. Der Vater kannte vor allem Strenge, von ihm kam wenig Anerkennung. Bei Klagen aus der Schule hatten von vornherein die Lehrer Recht, die Kinder wurden erst gar nicht gefragt. »Andererseits«, räumt er ein, »erkenne ich es natürlich dankbar an, dass meine Eltern mir Gymnasiumbesuch und Studium ermöglicht haben.« An ausgeprägte Kinderängste könne er sich nicht erinnern, aber eine grundlegende Unsicherheit, betont er, sei immer schon da gewesen.

Das Glück eines Zündapp-Mopeds
    Doch es gibt auch schöne Erinnerungen: »Vater besaß in den fünfziger Jahren ein Zündapp-Moped, das hat er sehr gepflegt. Es gab auf dem Hof eine kleine Rampe zur Scheune, und er hat mich als kleinen Jungen aufs Moped gesetzt und mich da hochgeschoben«. Zu Weihnachten baute Josef Holdt mit seinen Kindern zusammen die Modelleisenbahn auf, die dann für ein paar Wochen im Wohnzimmer bleiben durfte, aber stets geschah es nach einem bestimmten festgelegten Gleisplan, ohne Varianten in Kurven oder Steigungen. »Wenn es nach ihm ging, wurde immer die gleiche Anlage aufgebaut. Wenn wir Jungs das taten, versuchten wir Varianten und Veränderungen umzusetzen, ja, das Ausdenken und Aufbauen neuer Lösungen war für uns interessanter als das Spielen mit der fertigen Anlage.«
    Josef Holdt neigte zu Zwangshandlungen, das hat er seinen beiden Söhnen vererbt: zwei bis dreimal an der Haustür rütteln, ob sie auch wirklich verschlossen ist, wiederholt nachschauen, ob das Kellerlicht auch wirklich aus ist, großes Theater, wenn mal ein Licht vergessen wurde …
    In der Pubertät steigerten sich bei Manfred die sonderbaren Verhaltensweisen zu einer schweren Neurose mit Waschzwang. Mehrere Psychiatrieaufenthalte waren die Folge, zwölf Monate |121| konnte er deshalb nicht die Schule besuchen. In der Klinik wurde nach Ursachen nicht geforscht, aber eine Verhaltenstherapie zeigte durchaus Wirkung.
    Manfred Holdt kommt noch einmal auf seinen Vater zu sprechen. Er schildert ihn als unglücklichen, unausgeglichenen Charakter, angespannt, zu Jähzorn neigend. Es kam vor, dass der Vater auf die Kinder einprügelte, und auch auf seine Frau. »Als der Jüngste habe ich wahrscheinlich am meisten darunter gelitten«, sagt Manfred Holdt. »Ich war ein Kind, das unbewusst spürte: Ich muss ihn, der so unglücklich und beladen erscheint, stützen, und ich muss auch die Mutter stützen. Ziemlich viel für ein Kind!«
    Der Sohn beschreibt seine Mutter als liebevoll, aber durch die viele Arbeit in Haus, Garten und auf dem Feld, bei der sie von ihrem Mann wenig Hilfe erfuhr, als stets angestrengt und häufig überfordert. Von ihrer eigenen Mutter, mit der sie unter einem Dach lebte, erfuhr sie keinen Beistand, sondern nur Bevormundung. Die Großmutter, fügt er hinzu, sei eine extrem sparsame Frau gewesen – die Küchenhandtücher hätten manchmal nur noch aus Gestopftem bestanden. Typisch für seine Mutter: Wenn sie sich etwas Neues kaufte, befürchtete sie Missbilligung ihrer Mutter, so dass das Kleidungsstück dann erst mal ein Vierteljahr ungetragen im Schrank hing. »Meine Mutter sah in den letzten Monaten ihr Leben als misslungen an«, sagt Manfred Holdt und zitiert einen ihrer Sätze, kurz bevor sie starb: »Ich habe alles falsch gemacht in

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