Nachkriegskinder
hatte einen Vater, der die Nazis so stark unterstützt hat, dass der Sohn ein schlechtes Gewissen hatte – also hat er versucht, auf diese Weise wieder etwas gut zu machen. So sehe ich das.
Sie selbst waren Kriegsteilnehmer, haben aber nach dem Krieg bei sich keine Schuld gesehen. Nun kommt da eine Generation der Nachgeborenen. Und die Nachgeborenen sagen, sie hätten sich lange Zeit als Deutsche schuldig gefühlt oder sie tun es heute noch – obwohl ihnen ständig gesagt wurde: Ihr müsst euch nicht schuldig fühlen, ihr habt diese Zeit nicht einmal miterlebt, Schuld ist immer individuell, eine kollektive Schuld gibt es nicht. Wie war das bei Ihren Kindern?
Das Gymnasium unserer Kinder hatte eine enge Kooperation mit einer Highschool in Haifa. Meine Töchter sind beide in Israel im Kibbuz gewesen, sie sind dort sehr gut aufgenommen worden, und wir haben hier im Haus auch jüdische Kinder aus Israel als Gäste gehabt. In diesem Zusammenhang haben natürlich Diskussionen über den Holocaust stattgefunden. Dass wir während des Krieges davon nichts gewusst haben, das wird nicht geglaubt. Das kann man sich in einer Mediengesellschaft heute auch nicht vorstellen, dass so etwas geheim gehalten werden kann. Ich habe darüber schon früher in diesem Interview gesprochen. Helmut Schmidt, der hoch angesehene Altbundeskanzler, hat in einem Buch geschrieben, er hätte bis zum Kriegsschluss nichts gewusst, und er war Offizier und lange Zeit in Deutschland eingesetzt.
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Es bleibt der Fakt, dass die Nachgeborenen erst im Jahr 2006 zur Fußballweltmeisterschaft mit gutem Gewissen und mit Freude die deutschen Fähnchen an ihr Auto befestigt haben.
Das schlechte Gewissen war entstanden, weil es ihnen eingebläut wurde, auch von deutscher Seite. Und es ist noch nicht zu Ende mit dieser Beeinflussung.
Die Nachgeborenen wuchsen normal auf, dann mit 12–14 Jahren erfuhren sie vom Holocaust. Ist es für Sie nachvollziehbar, dass die positive Identifikation mit dem eigenen Land darunter erheblich leidet?
Ja. Ich muss selber sagen, ich bin nicht nach Israel gefahren. Nach Yad Vashem hätte ich nicht gehen können, das hätte ich nicht gekonnt. Da hätte ich mich wahrscheinlich auch geschämt. Meine Frau ist in Israel gewesen, die Kinder sind dort gewesen, ich habe eine halbjüdische Schwiegertochter. Aber jetzt, glaube ich, könnte ich nach Israel fahren. Da hat sich in mir etwas verändert. – Aber eines ist mir noch wichtig zu sagen: Die traurige Gewissheit ist, dass das Töten von Millionen Menschen überall passieren kann und geschehen ist, dass Menschen in der Lage sind, auf Befehl solche Dinge zu tun. Davon bin ich überzeugt. Man muss sich hüten zu sagen: Das kann nie wieder passieren. Da muss man aufpassen!
In den Schilderungen von Herbert W. werden viele Deutsche ihre eigenen Soldatenväter wiedererkennen: Männer, die sich durchweg als Opfer sahen, und bei denen in der Erinnerung häufig die Gefangenschaft und nicht das Kriegsgeschehen im Vordergrund stand. In ihren Berichten spielten die durch die Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen keine Rolle, zum Beispiel die schändliche Behandlung russischer Gefangener, durch die die Hälfte ums Leben kam. Ebenso war es Konsens unter den ehemaligen Kriegsteilnehmern, die Millionen Opfer des Holocaust gegen die |114| Massenverbrechen anderer Machthaber aufzurechnen. Sie sahen keinen Grund, sich als Deutsche in besonderer Weise schuldig zu fühlen. Wenn sie entsprechende Schamgefühle bei den eigenen Kindern entdeckten, empfanden sie diese als völlig überzogen und glaubten, dies sei ihnen von außen »eingebläut worden«, wie Herbert W. es nennt. Das Interview mit ihm hat mir noch einmal vor Augen geführt, wie schlecht die Chancen für Soldatenväter und ihre Friedenskinder standen, NS-Zeit und Krieg auch nur annähernd übereinstimmend zu bewerten. Wenn Jugendliche anfingen, ihre Eltern zu fragen: »Was habt ihr im Krieg gemacht?« und diese mit Schweigen antworteten, wuchs auf beiden Seiten das Misstrauen. Die weit verbreitete Sprachlosigkeit zwischen den Generationen war womöglich noch das Beste, was geschehen konnte, um ein Auseinanderbrechen der Familie zu verhindern.
|115| Viertes Kapitel
Söhne im Schatten
|117| Ein selbstbewusster Hartz-IV-Empfänger
Zu Beginn des Jahres 2010 bekam ich eine Mail von Manfred Holdt*. Er hatte mich in einer Radiosendung gehört und fragte, ob ich ihm, analog zu meiner Beschäftigung mit Kriegskindern und
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