Nachkriegskinder
bürgerlichen Verhältnissen. Sie sind jahrelang der NS-Propaganda ausgesetzt gewesen. Wie haben Sie es verkraftet, dass Sie diesem Regime vertraut haben?
Man braucht viel Zeit dafür. Ich meine, wir haben bezahlt dafür. In den viereinhalb Jahren haben wir als Kriegsgefangene völkerrechtswidrig Zwangsarbeit geleistet. Wir haben uns nicht schuldig gefühlt. Wir haben gesagt: Wir sind eigentlich auch Opfer.
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Meine Frage bezog sich auf diese bodenlose Enttäuschung, auf das Erkennen, missbraucht worden zu sein.
Zunächst ist man natürlich am Kommunismus interessiert. Ich habe ja in Russland die entsprechende Literatur bekommen. Die ökonomische Entwicklung war positiv. Es ging der Bevölkerung von Jahr zu Jahr besser. Aber es tauchte natürlich schnell der Widerspruch auf zwischen dem, was als Anspruch in den Büchern stand und was ich ringsum als Realität wahrnahm. Die Willkür und Gewalt ist in den Geschichtsbüchern immer mit Bekämpfung von Verrat erklärt worden.
Konnten Sie erkennen, dass es sich um ein paranoides System handelte?
Natürlich, wir hatten ja viel Zeit dazu.
Was Sie beschrieben haben, ist der intellektuelle Weg der Verarbeitung. Wie ging das emotional? Wie sind Sie damit umgegangen?
Wir haben uns gesagt: Das haben wir erlitten. Das ist jetzt vorbei. Wir müssen den Blick nach vorne richten.
Hatten Sie nach dem Krieg noch Kontakt mit anderen Männern aus Ihrer Wehrmachtszeit?
Ja, aber nur ganz sporadisch. Ich habe über meine Gefangenschaft ein Buch geschrieben. Das war für mich der Versuch, das zu verarbeiten, auch weil ich immer wieder davon geträumt habe. Solange ich im Beruf war, habe ich keine Zeit für solche Sachen gehabt. Ich habe aber immer davon erzählt, überall. Ich war beruflich viel im Ausland unterwegs. Manchmal saß ich mit Amerikanern, auch mit Juden zusammen und es kam vor, dass ich die halbe Nacht erzählt habe. Sie waren begierig davon zu erfahren, denn keiner hatte jemals davon gehört. Als ich dann pensioniert war, haben meine Kinder gesagt, das solltest du aufschreiben – das sollten mehr Menschen wissen.
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Haben Sie sich nach dem Krieg, nachdem Sie vom Holocaust erfahren hatten, nie geschämt, Deutscher zu sein?
Ich würde sagen: Nein. Ich habe damit nichts zu tun gehabt. Ich habe es nicht gewusst – ich hätte es auch nicht verhindern können, wenn ich es gewusst hätte. Ich rechne auf. Ich sage, dies ist nicht das Einmalige, als das es hingestellt wird. Die Franzosen haben fürchterliche Sachen noch nach dem Zweiten Weltkrieg in Algerien gemacht. Mao hat Millionen umgebracht, der Kommunismus hat Millionen umgebracht. Also, wir sind nicht nur die allein Schlechten, es gibt genug Schlechte – und das muss man einfach auch akzeptieren. Das ist wahrscheinlich nicht die politisch vorherrschende Meinung in Deutschland, aber es ist so. Dass an die Juden Entschädigungen gezahlt wurden, das sehe ich ein. Ich bin bestimmt kein Antisemit, ich habe auch eine jüdische Patentante gehabt – dass aber zum Beispiel der Zentralrat der Juden eine Stimme hat, als würde er in Deutschland 30 Millionen vertreten, und dann Dinge sagt, die absolut inakzeptabel sind, das finde ich nicht gut.
Man sieht – die Vergangenheit reicht immer noch in die heutige Zeit hinein, und deshalb würde ich gern noch über die Wehrmachtsausstellung sprechen. Das muss doch ein Schock für Sie gewesen sein.
Ja, absolut. Die Ausstellung ist auch großen Teils unwahr gewesen und tendenziös. Was ich weiß: Die Wehrmacht ist an diesen Dingen nicht oder kaum beteiligt gewesen. In Russland gab es diesen großen Bereich hinter der Front, wo der Nachschub durch transportiert werden musste. Da waren zur Sicherheit Landesschützen eingesetzt, ältere Männer, die noch eingezogen worden waren, aber nicht mehr fronttauglich waren. Und dort sind die Partisanen bekämpft worden, es war ja Krieg! Und nach der Genfer Konvention waren Partisanen rechtswidrig.
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Sie sprechen jetzt von der in der Wehrmachtsausstellung thematisierten Partisanenerschießung …
Ja, und ich meine, wenn man Soldat im Krieg ist, dann geht es nicht mehr darum, was ist gerecht und was ist gut, sondern dann muss man eben einfach die Befehle befolgen, und die lauteten: Die Versorgung der Front muss sichergestellt werden. Aber die Massenerschießungen, das war die SS. Daran war die Wehrmacht nicht beteiligt. Das ist aber in Zweifel gezogen worden durch diese Ausstellung. Philipp Reemtsma
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