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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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meiner Eltern ein, die ich dann auf meine Kinder übertrage.
    Die Eltern haben mich sehr streng erzogen. Wenn ich Widerworte gab, wurde ich stundenlang in den Keller gesteckt. Der war dunkel, nicht ausgebaut, überall Spinnweben, das Wasser tropfte von den Wänden. Und dann die Essensregeln: Ich musste so lange am Tisch sitzen bleiben, bis der Teller leer war. Noch heute esse ich jeden Teller leer, bis er blitzblank ist. Vor 15 Jahren, als ich um die vierzig war, hatte ich eine gute Phase, da war ich schlank, auch deshalb, weil ich das Essen wegschmiss, das ich nicht mehr wollte. An der Formulierung sehen Sie: Es ist noch nicht überwunden. Für andere ist das ganz normal, Essen auf dem Teller liegen zu lassen. Für mich ist es »wegschmeißen«.
    Ich war ein einsames Kind und ein geprügeltes Kind. Beide Eltern schlugen mich, aber die Bestrafungsmethoden meines Vaters hatten zudem etwas Perverses. Bevor er mich schlug, sagte er, ich müsste ihm in die Hand versprechen, dass ich ihm verzeihe, dass er mich jetzt schlägt – mir wird heute noch übel, wenn ich daran denke. Als ich im Kino den Film »Das weiße Band« sah, kam es mir so vor, als hätten sie bei uns zu Hause eine Kamera laufen lassen. Vieles habe ich so erlebt wie in diesem Film. Ich kann mich ebenso an diese hinterlistigen aggressiven Streiche von uns Kindern erinnern. Wenn wir auf ein bestimmtes Kind neidisch waren, wurde es verhauen. Ich guckte dabei nur zu, aber keine Frage, ich genoss, dass der andere verhauen wurde – ich selbst tat ja nichts Schlimmes.

|230| Wie sich die Prügel im späteren Leben auswirkten
    Welche Auswirkungen ich bei mir sehe? Vor allem diese: Es ist mir schwer gefallen, eine männliche Identität zu entwickeln. Was heißt es, sich im positiven Sinne männlich zu verhalten? Ich habe Probleme, dominant zu sein, mich durchzusetzen – außer meinen Patienten gegenüber, aber in der Arztpraxis sind die Rollen ja klar definiert. Da wird ja erwartet, dass ich Orientierung gebe. Doch habe ich, zum Beispiel, in Diskussionen Schwierigkeiten, Position zu beziehen, mich von anderen abzugrenzen. Da merke ich: Ich bin dir sehr nah, Vater … Ich trage in mir eine Panik, vernichtet zu werden. Ich weiß, es klingt übertrieben und es ist irrational, aber so empfinde ich. Und oft denke ich: Welche konkreten Anlässe, Erlebnisse in meinem Leben gab es, die diese Angst hervorgerufen haben sollten? Sind das meine Geschichten? Oder trage ich nicht vielmehr ein Erbe, das mir Vater aus seinem Erleben übertragen hat?
    Er war ja so religiös. Er wusste: Das ist kein normaler Krieg. Was wir hier tun, ist die absolute Sünde. Aber nie konnte das ausgesprochen werden. Es wurde öffentlich gebetet im Pietismus, aber ich habe nicht ein einziges Mal eine Bitte um Vergebung gehört im Zusammenhang mit Krieg und Schuld. In der protestantischen Kirche gibt es zwar Schuldbekenntnisse, aber die haben meiner Meinung nach zu keiner emotionalen Entlastung der Kriegsteilnehmer geführt. Ein Schuldbekenntnis hätte an das Ende eines Trauerprozesses gehört. Tatsächlich hat man in diesen Jahren sowohl die Aufarbeitung und erst recht die Trauer einfach ausfallen lassen. Ich erkenne keinen Raum, in dem wirkliche Aufarbeitung geschah, weder von Schuld noch von Traumata. Es gibt jedenfalls keine Rituale, keine Gottesdienste, keine Liturgie, in der Menschen ihre Verluste betrauern können, und keine Liturgie, die Erlösung ermöglicht.
    Ich komme noch einmal auf die Sonntagsgespräche aus meiner Jugendzeit zurück, als viel vom Krieg gesprochen wurde. Einmal |231| fiel das Wort »Blutschande« und meine Vorstellung war, hier nüchtern formuliert: Bei allem Mythos der deutschen Wehrmacht werden diese kriegerischen Exzesse nicht ohne Vergewaltigungen geblieben sein. Ich meine, es war mir schon als Student bekannt, dass Kämpfe bei jedem vitalen Mann viel Adrenalin mobilisieren, und dass Angst etc. eine Hormonüberschwemmung verursacht, so dass es Vergewaltigungen gegeben haben
muss
. Wenn Sie mich heute fragen: Kann es sein, dass Ihr Vater deshalb im Schlaf schrie, weil er Zeuge von Grausamkeiten an Frauen und von Massenerschießungen wurde, dann sage ich, ich halte es für möglich. Vielleicht habe ich ja als Kind, das darüber nicht sprechen konnte, diesen Zusammenhang selbst hergestellt. Dem Thema bin ich jedenfalls in meinen eigenen Therapien begegnet.

Dennoch ein gelungenes Leben
    Trotz alldem empfinde ich mein Leben als gelungen, und daran hat meine Frau einen

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