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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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hätten wir eine besonders schwere Last zu tragen: Die anderen gehen auf dem breiten Weg, und wir gehen auf dem schmalen Weg. Das muss man wissen, um die Geschichte meines Vaters und mein Verhältnis zu ihm zu verstehen.
    Um die Stimmung in meinem Elternhaus zu illustrieren, habe ich das alte Liederbuch meines Vaters mitgebracht. Schauen Sie: »Die Waldvögelein« und »Alte Kameraden«. Und hier ist ein anderes Lied – sie werden es auch nicht kennen. Darin heißt es: »Wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein, ich in die goldenen Gassen zieh ein …«, eine merkwürdige Sehnsucht nach dem Jenseits, die mich schon als Kind befremdet, manchmal auch geängstigt hat.
    Es war schön, mit Vater zu arbeiten, aber immer wieder passierte etwas, was eigentlich gar nicht zu meinem Bild von ihm passte. Plötzlich, weil irgendetwas nicht klappte, kriegte er einen |225| ungeheuren Wutanfall, dabei konnte er alles kaputtschlagen, was er gerade aufgebaut hatte. Einmal hatte er ein neues Badezimmer selbst gebaut – und dann wieder zerstört. Einmal hat er sogar einen Hammer nach mir geworfen. Was ist nur mit dem los, das passt doch gar nicht zu ihm, dachte ich, ganz normal kann er nicht sein.
    Was ich noch aus der Kindheit erinnere: Nachts hörte ich Vater oft, offensichtlich im Traum, laut schreien. Das Schlafzimmer der Eltern war ein Durchgangszimmer, die Tür war nicht schalldicht. Mutter sagte dazu: »Dein Vater träumt schlecht, das ist der Krieg«. Später habe ich ihn danach gefragt, stieß aber auf das übliche Verschweigen, das fast alle in meiner Generation erlebten.
    Ich bin Einzelkind. Als ich fünf Jahre alt war, wurde mir gesagt, ich solle Zucker auf die Fensterbank streuen, vielleicht käme der Klapperstorch mit einem Brüderchen oder Schwesterchen, und Monate später hieß es, ich bräuchte nun keinen Zucker mehr auf die Fensterbank zu streuen … Meine Mutter hatte ihr Kind im siebten Monat verloren. Als ich auf dem Gymnasium war, erfuhr ich im Biologieunterricht von der Blutunverträglichkeit, die durch Unterschiede des Rhesusfaktors hervorgerufen wird. Ich erzählte Mutter, dass ich ja positiv sei und sie negativ, das habe ich dem Blutspenderpass entnommen, und Papa sei ja auch positiv. Ich sagte ihr, um ein weiteres Kind zu bekommen, hätte sie unmittelbar nach meiner Geburt entsprechend medizinisch behandelt werden müssen. Diese Information war für sie völlig neu, und ich weiß noch, dass ich nicht verstand, warum sie so fassungslos reagierte. Erst als Erwachsener begriff ich die Hintergründe: Der Verlust ihres Kindes hatte bei ihr über viele Jahre schwere Depressionen ausgelöst. Sie unternahm fünf Suizidversuche.

|226| »Das kann kein Gott vergeben«
    Ihre Gemütszustände gingen einher mit schweren Selbstvorwürfen: »Die Sünde, die ich getan habe, ist so schlimm, die kann kein Gott vergeben.« Diese Erfahrungen waren für mich der Grund, zunächst ein Theologiestudium zu beginnen, um die religiöse Enge meines Elternhauses zu verarbeiten. Aus diesem Irrsinn musste ich raus. Später habe ich dann gewechselt und Medizin studiert. Ich wusste damals bereits, dass ich innere Aufträge abarbeite, die ich unbewusst von meinen Eltern übernommen habe.
    Nach einem ihrer Selbstmordversuche war die Mutter 14 Tage bewusstlos. Sie hatte sich auf einer Reise in Österreich das Leben nehmen wollen. Wir mussten sie im Krankenhaus zurücklassen. Vater saß stundenlang stumm im Auto. Er war unfähig, auch nur ein Wort mit mir zu sprechen. Dann schließlich sagte er an einer Tankstelle »Wir fahren hier raus und rufen im Krankenhaus an«. Das war sein einziger Satz. Aber wie es uns geht, dem Vater und mir, darüber fiel kein Wort. Darüber konnte er nicht sprechen. Und so habe ich ihn auch immer belastet erlebt, wenn es um Kriegsthemen ging. Meine Jahrgänge waren ja von den Nachwehen der 68er Bewegung beeinflusst, als die deutsche Schuld in die Debatten kam. Immer wieder habe ich meinen Vater gefragt: Hast du Menschen erschossen? Wie viele? Damit muss ich ihn sehr gequält haben, ich habe nie locker gelassen. Er hat nur zwei Dinge gesagt. Erstens: Krieg ist das Schrecklichste, was es gibt, das darfst du nie vergessen. Und zweitens: Wenn dir jemand sagt, man habe nicht wissen können, was mit den Juden passiert ist, dann glaub dem nicht. Er sagte mir: »Für mich war der Krieg verloren, als er noch nicht begonnen hatte, in der Reichskristallnacht 1938. Ich habe das Fleisch vom Metzger Salamon auf der Straße liegen

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